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Umberto Eco – By Università Reggio Calabria [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons
Umberto Eco – By Università Reggio Calabria [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Eco – auch ein Literaturtheoretiker?

von Matthias Agethen


Umberto Ecos literaturtheoretische Ausführungen sind deshalb von Interesse, da er selbst sowohl Roman-Autor[1] als auch Literaturtheoretiker ist bzw. sein will. Er ist einer der wenigen zeitgenössischen Autoren, die sich mit der Deutung ihrer Texte auseinandersetzen und sich an der Diskussion über ihre Interpretationen beteiligen. In diesem Zusammenhang ist auch der hier kommentierte Text zu verstehen.[2] Er stellt keine eigene kohärente Theorie von Autorschaft dar. Vielmehr geht es Eco darum, dem Phänomen Autorschaft – anhand von Beispielen aus dem eigenen Werk – nachzugehen. Eco selbst nennt sein Verfahren ein „Laborexperiment“ (285), einen Versuch also. So liest der Text sich auch eher als eine mit Anekdoten gespickte allgemeine (Selbst-) Reflexion über (die eigene) Autorschaft, denn als ernstzunehmende und originelle Literatur- bzw. Autorschaftstheorie.

     Im Folgenden wird es vor allem um Ecos Konzeptionen der Begriffe „Autor“, „Text“ und „Leser“ sowie um eine Kritik an eben diesen Begriffen gehen. Es wird sich zeigen, dass Eco – ungeachtet seiner unbestrittenen Qualitäten als Erzeuger literarischer Texte – auf dem Gebiet der Literaturtheorie wenig innovativ ist, da er mit seinen Überlegungen nicht mehr liefert als eine verwaschene Version der Genie-Ästhetik des 18. Jahrhunderts.  

 

Der empirische Autor und seine (Ir-)Relevanz 

Umberto Eco nimmt eine Zweiteilung der Autorschaftskonzeption vor: Er unterscheidet zwischen empirischem und exemplarischem Autor.

     Der empirische Autor hat, nach Eco, bestimmte Absichten, er ordnet seinen Text und seine Intentionen ganz bewusst an. Der Autor ist auf dieser Ebene wortwörtlich ein auctor (lat. Schöpfer, Urheber), der die Bedeutungshoheit über seine Texte beansprucht. Hier ist ein ganz konkreter Autor gemeint, ein Mensch mit einer Biografie, der – quasi empirisch – im Text sichtbar und erfahrbar ist. Die Biografie des Autors, sein Lebensweg, seine Jugend, seine familiären Umstände und anderes drängen sich dabei als Erklärungshilfen und Interpretationsrechtfertigungen für seine Texte auf. Unter diesen Vorzeichen hieße literaturwissenschaftliche Kritik nichts weiter als Interpretieren im Sinne einer Autor-Intentions-Rekonstruktion: was will/wollte der Autor uns mit seinem Text sagen? Der Nachvollzug dessen, was der (empirische) Autor gemeint haben könnte wäre Ziel der literaturwissenschaftlichen Arbeit. Eco jedoch entlarvt den empirischen Autor als eine für das Verständnis und die Deutung von Texten irrelevante Instanz. Es spiele für die Interpretation eben keine Rolle, was Autor xy dem Leser sagen wolle – so Eco. Die Intention des Autors sei nicht rekonstruierbar, sie sei vielmehr „unergründlich“ (287). Daher stellt sich für Eco auch nicht die Frage nach ihrer Rekonstruktion: Die intentio auctoris sei somit ein Trugbild und keine verlässliche Konstante im Prozess der Erschließung von Textbedeutungen. Der bewusst schreibende, strukturierende Autor, der mehr oder weniger konkrete Absichten verfolgt und Sinn produzieren will, der empirische Autor also, müsste demnach für die Literaturwissenschaft völlig irrelevant sein.

     Hätte Eco an dieser Stelle der Argumentation seine Ausführungen doch beendet! Inkonsequenterweise bescheinigt Eco jedoch dem empirischen Autor in zwei Fällen Relevanz: als lebender Autor, der sich überhaupt zu den eigenen Texten äußert (1) und (2) als Zeuge des Prozesses der Textentstehung, als Zeuge der Textgenese.

     Eco betont, dass die vom (lebenden) Autor geäußerte, eigene Intention mit den Deutungen seiner Leser bzw. Kritiker seiner Texte verglichen werden könnte. Die vom empirischen Autor explizierte eigene Absicht dürfe jedoch „kein Urteil über die Interpretationen seines Textes rechtfertigen“ (284), vielmehr gehe es darum, über den Vergleich der Autor-Intention mit der Interpretation der Kritiker „große Diskrepanzen“ (284) aufzuzeigen. Es könne somit über das Erkennen der Unterschiedlichkeit von Autor-Intention, Autor-Absicht, Autor-Wille und kritischer Leser-Interpretation bzw. Deutung zu einem besseren Textverständnis und einer aufschlussreicheren Lektüre gelangt werden. Der empirische Autor wird somit zu einem Leser seiner Texte, seine Deutung über das selbst Geschriebene ist dann jedoch bloß eine Deutung unter vielen anderen, die ‚gleichberechtigt’ nebeneinander existieren können. Der Autor verliert ja gerade im Akt der Rezeption (Lesen der eigenen Texte) die Sonderstellung, die er als Text-Produzent noch inne gehabt hatte. Das Sprechen über das eigene Schreiben muss ihm, dem empirischen Autor, zum Verhängnis werden, da er sich damit in die Reihe der – prinzipiell gleichberechtigten und damit auch prinzipiell gleich un-bedeutenden – Exegeten einreiht. Ecos Behauptung, es sei manchmal „interessant [...] auf die Absichten des empirischen Autors zurückzugreifen“ (284), wirkt geradezu hilflos, da die Interpretationen und Deutungen des Autors eben keine Sonderstellung gegenüber anderen kritischen Interpretationen beanspruchen können. Diese sind also nicht „interessant[er]“ als jene.

     Hilft uns der empirische Autor als Zeuge der Textgenese weiter? Eco meint, das „Zeugnis“ (293) des empirischen Autors könne Aufschluss über den Entstehungsprozess von Texten geben, und somit auch über die Entstehung von Bedeutungen. Die Dokumentation des Schreibprozesses könne verraten, „dass bestimmte textliche Lösungen durch glückliche Fügungen“ (293) zustande kommen könnten. Das leuchtet insofern ein, als dass die Entstehung eines Textes und ihrer Bedingungen, die Textgenese, nicht verwechselt wird mit der Bedeutung eines Textes. D. h., dass scheinbar – beispielsweise auf Grund der Autor-Biografie – naheliegende Zusammenhänge und Erklärungen nicht unbedingt die richtigen sein müssen. Das Auftreten bestimmter Namen und Orte oder die Wahl bestimmter sprachlicher Mittel kann zwar eventuell geklärt werden, jedoch dadurch nicht unbedingt gedeutet und ihre Stellung im Bedeutungsgeflecht des Textes erklärt werden. Eco selbst wählt dafür ein gutes Beispiel: Nach der Untersuchung der Entstehungsbedingungen seines Romans „Das Foucaultsche Pendel“[3] sei zwar das Auftreten bestimmter Namen nachvollziehbar und geklärt, doch sei dies nicht unbedingt relevant für eine plausible Interpretation des Textes. Im Falle des benannten Titels: Im Foucaultschen Pendel geht es wider Erwarten eben nicht um Michel Foucault, den Begründer der Diskurs-Theorie.

     Eco sollte seine These von der Irrelevanz des empirischen Autors einschränkungslos beibehalten: Der Nachvollzug der Textgenese verführt doch wieder dazu, die sozialen, ökonomischen und psychischen Umstände des Autors während der Entstehungszeit des Textes zu rekonstruieren – mit der logischen Folge, das Geschriebene an das Gelebte, also an die Autobiografie des Autors rückbinden zu müssen. Es geht ja schließlich um Text-Analyse und nicht um Lebens-Analyse. Am Ende ist dem sola scriptura doch nicht zu entkommen.  

 

Autorschaft – exemplarisch

Um die Leerstelle zu schließen, die durch die angenommene Irrelevanz des empirischen Autors entstanden ist, führt Eco nun den Begriff des exemplarischen Autors ein. Dieser exemplarische Autor ist zu verstehen als eine Art Medium literarischer Texte, als Medium literarischer Sprache überhaupt. Seine Absichten sind identisch mit der Textintention (vgl. 281), die man „aus der Textstrategie ableiten kann.“ (281)

      Die Textintention und der empirische Autor bilden gemeinsam den exemplarischen Autor: Durch diesen bahnt sich die Sprache gewissermaßen ihren Weg: Der exemplarische Autor lässt sich beispielsweise „unbewusst durch [...] mögliche Klangeffekte verführ[en]“ (281) und erzeugt somit literarische Texte. Entscheidend ist hierbei das Moment des Unbewussten, der Autor hat „keine explizite Absicht“ (281), er hat vielleicht – als empirischer Autor – Intentionen und eine Deutung seines eigenen Textes parat, doch bedeutet dies eben nicht, dass diese, seine Interpretation auch die Intention des von ihm produzierten Textes ist. Der Text ist somit nicht ein vom (empirischen) Autor bewusst Geformtes und von diesem mit Bedeutungen und Sinn Aufgeladenes, sondern ein Produkt des exemplarischen Autors, der sich auf mysteriöse Weise eben von „Klangeffekten“ oder anderen sprachlichen oder rhythmischen Besonderheiten der Wörter und Sätze beeinflussen lässt. Eco spricht davon, dass „die Wörter [...] ihn [d.i. der Autor] zwingen“ eine „mögliche Abfolge von Assoziationen in Gang zu setzen.“ (281) Der Autor ist also kein bewusster Erschaffer und Erzeuger von Sinn, vielmehr ist er ein von der Sprache Gezwungener und Getriebener. Nicht der empirische Autor beherrscht die Sprache, sondern die Sprache beherrscht den exemplarischen Autor. Auf dieser Ebene könnte man sagen, die Sprache entwickele eine Eigendynamik, (vgl. 286 f. u. ö.) jenseits der Frage nach Autorschaft.

     In diesem Zusammenhang lässt sich auch erklären, warum Eco von einem „gespenstischen Grenzautor“ (282) spricht: Empirisch ist der Autor im Text nicht mehr wahrnehmbar, seine Absichten treten hinter die des Textes selbst zurück, da er nicht mehr überschauen kann, welchen Sinn und welche Bedeutungen das von ihm Geschriebene implizieren kann.

     Beispiele dafür gibt Eco aus seiner eigenen Erfahrung als Autor: Sein Roman „Der Name der Rose“[4] habe viele kluge Interpretationen nach sich gezogen, die durchaus plausibel seien, obwohl sie nicht mit Ecos eigener Deutung konform gingen. Eco bekennt: „Der Text liegt vor und schafft seine eigenen Effekte.“ (286) Hierbei ist die beschriebene Eigendynamik der Sprache besonders deutlich: Der Text schafft „eigene Effekte“, die sich der Verantwortlichkeit des Autors entziehen.

     Die von Eco genannten, für die Konzeption des exemplarischen Autors zentralen Merkmale der Unbewusstheit und der Rätselhaftigkeit gipfeln in einer Reihe von Fragen, die Eco an den Leser stellt: „Doch was bedeutet hier ‚ich’? Mein bewusstes Denken? Mein Es? Ein Sprachspiel [...], das sich beim Schreiben in meinem Geist vollzog?“ (289) Durch die Suggestion der Unmöglichkeit der Beantwortbarkeit dieser Fragen schleiert Eco den Autor als Institution in eine Art undurchsichtigen Nebel: Bei der Produktion von Literatur müssen Faktoren eine Rolle spielen, die sich der empirischen Messbarkeit und Objektivierbarkeit entziehen, Übersinnliches wirkt in und durch den exemplarischen Autor. Dieser erscheint somit nahezu entmenschlicht und zum Medium der Literatur erhoben.

     Das Problem, das hieraus entsteht, nämlich die Frage danach, wer oder was für die Bedeutung und den Sinn im Text verantwortlich sei, beantwortet Eco hingegen nüchtern: „Der Text liegt vor.“ (289) Es geht nicht mehr darum, wer verantwortlich für die Produktion dieses Textes ist, oder was sich der jeweilige (empirische) Autor dabei gedacht haben könnte. Es geht vielmehr um den Text selbst und darum, welche Interpretationen und Deutungen der Text zulässt, welche er stützt und welche er zurückweist. Der exemplarische Autor ist also nichts weiter als eine Hilfskonstruktion, um die Kategorie Autor nicht völlig abzuschaffen, er ist nur noch dem Namen nach ein Autor; das Literarische produziert der Text selbst und eben nicht der Autor. Der Text selbst braucht keine Autor-Intention, er selbst hat eine Intention, die sich durch sein Geschrieben-Sein konzipiert.

 

Es folgen: Ecos Text, Ecos Leser, Eco und Barthes

 

 

Literatur

 

Eco, Umberto: Zwischen Autor und Text, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hrsg. v. Fotis Jannidis u.a., Stuttgart 2000, S. 279-294.

 

Eco, Umberto: Der Name der Rose. Roman, übers. v. Burkhart Kroeber, München 1986.

 

Eco, Umberto: Das Foucaultsche Pendel. Roman, übers. v. Burkhart Kroeber, München 1992.

 


[1] Z. B.: Umberto Eco: Der Name der Rose. Roman, übers. v. Burkhart Kroeber, München 1986; ders.: Das Foucaultsche Pendel. Roman, übers. v. Burkhart Kroeber, München 1992.

[2] Umberto Eco: Zwischen Autor und Text, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hrsg. v. Fotis Jannidis u. a., Stuttgart: Reclam 2000, S. 279-294, Im Folgenden werden Zitate unter Angabe der Seitenzahl dieser Ausgabe nachgewiesen.

[3] Eco, Das Foucaultsche Pendel.

[4] Eco, Der Name Rose.

 

Matthias Agethen studiert Germanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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