TexturenWissenschaftskunde

 

Die Warengruppe Wirtschaft

von Michael Buchmann

Mit jeder Wirtschaftskrise rückt die Literatur zu ökonomischen Fragen wieder neu in den Blickpunkt. In der Fachliteratur, aber auch in populären Darstellungen sucht man dann nach Antworten auf die drängenden Gegenwartsfragen wie Überschuldung, Globalisierung, Bewahrung des Lebensstandards, des nachhaltigen Wirtschaftens oder der Ökonomisierung des Alltags. Den Ökonomen wird in letzterer Beziehung eine besondere Verantwortung zugeschrieben, wenn immer mehr Lebensbereiche wirtschaftlichem Kalkül unterworfen werden. Und tatsächlich begreifen Wirtschaftswissenschaftler wie Gary Becker auch beispielsweise die Familie als ökonomisch bestimmt.

 

Das solchen Überlegungen zu Grunde liegende ökonomische Prinzip besagt, dass Mittel und Ertrag in ein möglichst optimales Verhältnis zueinander gebracht werden sollten. Diese Effizienz sei nicht nur den begrenzten Mitteln oder der Knappheit der Ressourcen geschuldet, sondern gründe ihrerseits im vernünftigen menschlichen Handeln bzw. der Rationalität selbst. Dass allerdings Behauptungen von Ökonomen über bestimmte Sachverhalte nicht nur reiner Rationalität sondern auch dem jeweiligen gesellschaftlich-politischen Vorverständnis geschuldet sind, zeigt bereits ein kurzer Blick auf die Geschichte der Ökonomie.

 

Der Merkantilismus bzw. Kameralismus betrachtete vom 16. bis 18. Jahrhundert die Ökonomie überwiegend vom Staat aus, indem er sein Hauptaugenmerk auf eine positive Außenhandelsbilanz, die Anhäufung von Edelmetallen und ein möglichst großes Bevölkerungswachstum legte. Die klassische politische Ökonomie ging dagegen im 18. Jahrhundert von der Erkenntnis aus, dass sich die Produktivität durchaus steigern lässt, und zwar durch Arbeitsteilung. Zudem wurde das Verhältnis zwischen Staat und Einzelnem thematisiert, wirtschaftliche und politische Freiheit als zwei Seiten einer Medaille benannt. Der entstehende Kapitalismus und Freihandel führte aber auch zu einer extremen Anhäufung von Kapital in den Händen einzelner Unternehmer. Sozialistische Denker sprachen sich gegen diese Kapitalakkumulation in Privatbesitz aus und boten eine Interpretation an: die Produktivitätssteigerung sollte denjenigen zu gute kommen, die diesen Überschuss tatsächlich erwirtschaftet hatten. Außerdem entfremde die Arbeitsteilung die Arbeiter von ihrer Arbeit. Ein anderes System der Wirtschaftslenkung und des Gemeineigentums sollte folgen. In der Zeit der Totalitarismen suchte man dann nach Zwischenmodellen. Der Keynesianismus beispielsweise legte seinen Schwerpunkt auf den Einfluss der Wirtschaftspolitik auf die Zyklen einer Volkswirtschaft: der Staat müsse antizyklisch reagieren. In einer Rezession müssten die Steuern gesenkt und die Staatsausgaben erhöht werden. Umgekehrt müssten während eines Konjunkturaufschwungs die Steuern erhöht und die Staatsausgaben reduziert werden. Der zur gleichen Zeit entstehende Neoliberalismus verfolgt dagegen das Ziel, den Staat nur dort ins Marktgeschehen einzubinden, wo das aus Gründen der Stabilisierung und des sozialen Friedens unbedingt notwendig sei. Er solle sich vor allem um die Gewährleistung der notwendigen Rahmenbedingungen wie Eigentum und öffentliche Ordnung kümmern. Die heutige Wirtschaftswissenschaft fühlt sich dem Selbstverständnis der Mehrheit ihrer führenden Vertreter nach diesem Neoliberalismus in verschiedenen Spielarten verpflichtet.

 

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Zielgruppen Der Studiengang ›Betriebswirtschaft‹ ist der größte unter den universitären Massenfächern. Insofern zählen Studierende und Lehrende der Betriebs- und Volkswirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften selbstverständlich auch zur Zielgruppe. Dies wird sich vor allem bei Buchhandlungen mit entsprechenden Instituten vor Ort bemerkbar machen. Hier wird man zunehmend mit englischsprachigen Publikationen rechnen müssen, da viele Vorlesungen und Veranstaltungen mittlerweile in englischer Sprache angeboten werden. Außerdem gehört die Gesamtheit aller Unternehmen und Betriebe zur potentiellen Zielgruppe und stellt häufig einen bedeutenden Teil des für Buchhandlungen lebenswichtigen Rechnungsgeschäfts.

 

Die Zielgruppe ist aber noch viel umfassender. Denn das Thema ›Wirtschaft‹ betrifft neben der Gesamtheit aller Unternehmen und Arbeitgeber auch die Arbeitnehmer. Viele von ihnen haben inzwischen das Prinzip des „lebenslangen Lernens“ internalisiert, manche haben Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, andere streben danach, Karriere zu machen. Für den Buchhandel bedeutet dies, dass neben dem klassischen Rechnungsgeschäft mit Instituten und Unternehmen als Kunden ein zweiter Markt mit Sachbüchern und Ratgebern besteht, der sich vor allem an Käufer richtet, die sich durch Titel, die keine Vorkenntnisse voraussetzen, schnell mit einem Teilgebiet der Ökonomie vertraut machen wollen. Besonders beliebt sind natürlich diejenigen, die einen direkten Anwendungsbezug und schnellen Erfolg versprechen, so zu den Themen Jobsuche, Jobwechsel, Sicheres Auftreten oder auch Geldanlage, Steuer und Finanzen.

 

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Lagerordnung […] Auch in dieser Warengruppe ist die Trennung zwischen Sach- und Fachbüchern in dieser Form als Lagerordnung nicht durchführbar. Schwerer wiegt allerdings, dass die vorgeschlagene Ordnung inkohärent ist: erstens wird die Teildisziplin ›Volkswirtschaft‹ in die Unterwarengruppen 782 und 787 aufgeteilt und so durch die Teildisziplin ›Betriebswirtschaft‹ getrennt; die Ordnung folgt damit nicht der Ordnung der Wirtschaftswissenschaften und kommt daher dem Fachpublikum nicht entgegen. Zweitens haben die Schlagworte der Unterwarengruppen wie beispielsweise die unter der Ordnungsziffer 781 keinen erkennbaren inhaltlichen Zusammenhang außer dem, dass sie anscheinend keiner anderen Warengruppe zugeordnet werden konnten. Die Systematik ist aber genauso wenig an den Erwartungen interessierter Laien ausgerichtet.

 

Dagegen ist es der kohärenten Trennung wegen durchaus sinnvoll, die wissenschaftliche Teilung in Betriebs- und Volkswirtschaft beizubehalten. Da betriebswirtschaftliche Titel viel häufiger nachgefragt werden ist es zudem kundenfreundlicher, die Betriebswirtschaft an den Anfang der Abteil zu setzen. Nach den allgemeinen Titeln und den Nachschlagewerken, kann man so entweder bei geringer Sortimentstiefe eine Kategorie zur Betriebswirtschaft einrichten, oder diese je nach Tiefe in weitere Teildisziplinen unterteilen, wie Marketing, Controlling, Rechnungswesen usw. Die sich daran anschließende Unterwarengruppe Volkswirtschaft lässt sich ebenfalls je nach Sortimentstiefe weiter unterteilen, zumindest eine Unterteilung in Makro- und Mikroökonomie wäre ratsam. Für Buchhandlungen mit geringer Verkaufsfläche und für Boulevardbuchhandlungen kann es durchaus von Vorteil sein, eine einzige Warengruppe unter dem Oberbegriff ›Recht Wirtschaft Steuern‹ zu führen. Hierbei dürfte der Schwerpunkt weniger auf Fachbüchern als auf Ratgebern und Sachbüchern zu Themen rund um Bürokommunikation, Bewerbung, Steuerratgebern, Erben, Miete etc. liegen. Ist die Lagerordnung allerdings in Wirtschaft und Recht unterteilt, sollten die Titel zum Thema ›Steuer‹ zentral unter der Warengruppe Recht (770) stehen.

 

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Unkorrigierter und gekürzter Auszug aus dem Buch Klaus-W. Bramann, Michael Buchmann, Michael Schikowski (Hg.): Warengruppen im Buchhandel. Grundlagen - Allgemeines Sortiment - Fachbuch, Frankfurt am Main, Bramann Verlag, 2011.



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