TexturenGeschichte


„Der ganze Literaturbetrieb erinnert mich an eine Grossmarkthalle.“ Siegfried Unseld und seine Autoren

von Michael Buchmann

 

Wenn eine Textgattung von den ökonomischen Faktoren des Literaturbetriebs ausgenommen werden müsse, dann seien es die Briefwechsel, wird immer wieder eingewandt. Abgesehen von der Masse an Bittbriefen, die natürlich keinen Anspruch auf Literarizität erheben, werden mehr Briefe in Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung geschrieben als gedacht. Dies bedeutet auch, dass die Briefeschreiber während des Schreibens sowohl die Veröffentlichung und deren ökonomische Konsequenzen als auch die Rezeption berücksichtigen, die über den einen Adressaten weit hinaus geht. Dies trifft auch auf den Briefwechsel zwischen Siegfried Unseld und Thomas Bernhard zu. Mit einem Hinweis auf genau diese durch eine Veröffentlichung zu erreichende Zielgruppe versucht der Verleger, seinem Autor mehr Zurückhaltung nahe zu legen: „Lieber Herr Bernhard, ich stelle mir vor, was künftige Adepten der Studiums von Literatur- und Verlagsgeschichte bei der Lektüre unseres Briefwechsels sagen werden.“

 

Dies bedeutet, dass sich alle Aussagen taktisch nicht nur an dem jeweiligen Adressaten sondern auch an den intendierten Rezipienten ausrichten. Thomas Bernhard verfolgt im Briefwechsel eine zielstrebige und sich auch unredlicher Mittel wie der Unwahrheit bedienender Gewinnmaximierungsstrategie. Dies betrifft vor allem seine Beziehung zum Verlag. Während er einerseits vom Prestige, Einfluss und damit auch Zahlungsfähigkeit der Marke Suhrkamp profitieren möchte, zeigt er sich erstaunlich uninteressiert an verlagsinternen Vorgängen. Sein Kommentar zur Lektorenrevolte von 1968 lautet lapidar: „Ich höre, was mir nichts ausmacht, überhaupt nichts vom Verlag, ich weiss also gar nicht, mit was für welchen Gespenstern er augenblicklich beschäftigt ist, mit literarischen, politischen etc., dafür hat mir aber heute das Finanzamt eine Zahlungsaufforderung über 57.000.- österreichische Schilling geschickt […].“ Diese Gewinnmaximierungsstrategie versucht Bernhard mit einem interpretatorischen Kunstgriff zu relativieren: „Im Grunde bin ich kein Geldgieriger. Aber das wissen Sie doch. Überhaupt ist mir Geld wurscht, wenn ich das notwendigste habe.“ Nur scheint die Messlatte für das Notwendigste für Bernhard derart hoch gelegen zu haben, dass er sich doch in seinem Briefwechsel überwiegend mit monetären Fragen beschäftigen musste. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn man diesen Briefwechsel mit dem zwischen Unseld und Hermann Hesse vergleicht.

 

Welches sind die beiderseitigen taktischen Kunstgriffe, um die jeweiligen monetären und inhaltlichen Positionen durchzusetzen? Bernhard entfaltete dabei ein erstaunliches Repertoire: zum einen forderte er angeblich ausstehende Zahlung ein, zum anderen konnte er sich, wenn es ihm zum Vorteil gereichte, nicht mehr an Finanzielles erinnern: „[...] ich kenne mich genauso überhaupt nicht aus, was unser Finanzielles betrifft, [...]“. Oder er setzte Unseld mit angeblichen oder tatsächlichen Offerten konkurrierender Verleger unter Druck: „Ein Verleger […] wollte mich in den letzten Wochen 'in Bausch und Bogen' kaufen, alle meine Schulden zahlen und mir ein lebenslängliches Salär geben etc., aber ich habe das 'Angebot' natürlich nicht angenommen, […] Ich widerstehe dem Geld, [...]“. Auch auf persönlicher Ebene versuchte er seine Interessen durchzusetzen, sei es mit Vorwürfen, sei es mit beleidigtem Selbstmitleid. Unseld seinerseits konterte ebenfalls auf beiden Ebenen. Einmal begegnete er den ökonomischen Argumenten mit Nüchternheit und einer gewissen Bürokratie: „Ich kann die ökonomische Basis des Verlages nicht vernachlässigen. Ich will es auch gar nicht. Mir muß es darauf ankommen, das Schiff in guter Fahrt halten zu können. Dies, damit wir die Bücher machen, auf die es uns ankommt.“ Aber auch auf der persönlichen Ebene musste Unseld reagieren. Gegenüber Thomas Bernhard tat er das mit einer erstaunlichen Geduld und Frustrationstoleranz. Ermöglicht wurde dies durch das Wissen, als Verleger letztlich die Interpretationshoheit gegenüber den späterern oben angesprochenen ihm bewussten Rezipienten des Briefwechsel zu haben. Und so wird der Briefwechsel zwischen den beiden von den Notizen Unselds flankiert, die zusätzlich die Briefe und vor allem die Begegnungen in seinem Sinne interpretieren. Über die Auslassungen auf persönlicher Ebene schreibt er: „Solchen Spannungen ist dieses Dasein Thomas Bernhard ausgesetzt, es ist ein dauerndes Alles oder Nichts, es ist die Rücksichtslosigkeit selbst, wenn es um das Durchsetzen seiner Sache geht, und es ist eine höchste Sensibilisierung und Empfindlichkeit, wenn ihm etwas fehlt.“ Neben dieser sichtlich um neutral wirkende Ausdrucksweise bemühten Beschreibung finden sich aber auch offene Ironie für das Verhalten Bernhards: „Drei Stunden dauerte diese Verlegerbeschimpfung, die viel konkreter und nicht so dramatisch und dämonisch war wie seinerzeit der Abend am Traunsee.“

 

Wenn ein weiterer Suhrkamp-Autor, nämlich Hans Magnus Enzensberger, ein Buch mit dem Titel Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin schreibt, entbehrt das nicht einer gewissen Koketterie und Selbststilisierung; denn nur ein auf dem Literaturmarkt sehr erfolgreicher Autor kann davon ausgehen, selbst noch mit der Darstellung seiner Misserfolge Verleger und Käufer finden. Und so hat diese Darstellung zwar einen vordergründig durchaus didaktischen Effekt: „[Flops] gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen der relevanten Industrien […]“; aber Enzensberger lässt auch an einigen Stellen deutlich durchblicken, dass zumindest einige seiner Flops nicht unbedingt solche waren. Am Ende des Kapitels über die geplante Zeitschrift Gulliver schreibt er beispielsweise: „Unsere heroischen, aber chaotischen Probeläufe haben aber noch eine weitere Wirkung gezeitigt. Die Vierteljahrsschrift Kursbuch verdankt ihre Entstehung der Frustration, die dieses Abenteuer hinterlassen hat.“ Überraschender dagegen sein Ideen-Magazin: nicht nur weil er das Konzept von WikiLeaks vorweg nimmt, sondern vor allem, weil er als Autor mit durchaus betriebswirtschaftlichen Kategorien wie Marktanalyse, Zielgruppe oder break even point an seine Projekte herangeht. Die Maxime dagegen, die Enzensberger dann ausgibt, dürfte das Vorrecht der wenigen Schriftsteller sein, die eine vergleichbar eingeführte Marke im Literaturmarkt sind: „Überhaupt besteht die beste Strategie wahrscheinlich darin, das zu tun, wozu man gerade Lust hat.“

 

Literatur

  • Bernhard, Thomas/Unseld, Siegfried: Der Briefwechsel, Frankfurt am Main 2009.
  • Enzensberger, Hans Magnus: Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin, Berlin 2011.
  • Johnson, Uwe/Unseld, Siegfried: Der Briefwechsel, Frankfurt am Main 1999.
  • Koeppen, Wolfgang/Unseld, Siegfried: "Ich bitte um ein Wort". Der Briefwechsel, Frankfurt am Main 2006.
  • Suhrkamp, Peter: Der Leser, Frankfurt am Main 1960.
  • Suhrkamp, Peter: Briefe an die Autoren, Frankfurt am Main 1963.
  • Unseld, Siegfried: Begegnungen mit Hermann Hesse, Frankfurt am Main 1975.

 


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