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Der Literaturbetrieb als Gegenstand. Eine Begriffsklärung

von Michael Buchmann

Bislang wurde es vermieden, den Begriff "Literaturbetrieb" zu erklären, geschweige denn zu definieren. Selbst Fachbücher, die das Wort im Titel oder Untertitel führen, übergehen auffallend eine notwendige Erklärung ihres Gegenstandes; das Lexikon "Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen" zum Beispiel enthält nicht einmal einen gleichnamigen Eintrag. Und in Plachtas "Literaturbetrieb" wird der Begriff an keiner Stelle erläutert.*

 

Dies hat wohl seine Ursache in der nur schwer darstellbaren Komplexität des Gegenstandes. Deshalb kann hier nicht der Anspruch erhoben werden, den Begriff erschöpfend, umfassend und abschließend zu definieren. Aber eine Zeitschrift, die sich dem Literaturbetrieb widmet, hat zumindest die Aufgabe, ihren Gegenstand zu beschreiben und zu explizieren.

 

Gegenstandsbereich

Der Begriff "Literaturbetrieb" ist ein Kompositum, weshalb zunächst einmal die Morpheme bestimmt werden müssen: unter "Literatur" ist hier nicht ausschließlich fiktionale Literatur bzw. Belletristik zu verstehen. Vielmehr wird der Begriff in seinem weitesten Sinne gebraucht als Bezeichnung für alle Texte, seien sie fiktional oder faktual, gedruckt oder elektronisch. Der Begriff lässt sich also weder auf ästhetische noch herstellungstechnische Kriterien reduzieren. Das unterscheidet ihn von den entsprechenden Begriffen der Literatur- oder Buchwissenschaft.

 

Literatur ist notwendigerweise Ware. Zumindest sobald vor oder während des Schreibens bzw. des Schreibauftrags die Absicht aufkommt, dass der Text Leser finden soll. Dies schmälert nicht die eventuell vorhandenen Merkmale, die eine Zuschreibung als ästhetisch wertvoll erlauben. Allerdings unterliegt ein Text, der auf dem Markt gehandelt wird, den Marktgesetzen wie jedes andere Produkt auch. Diese ökonomischen Regeln, denen nicht nur die Distribution, sondern ganz wesentlich auch die Produktion von Texten unterliegt, wird mit dem Wort "Betrieb" zum Ausdruck gebracht. Damit haben Texte, mit denen gehandelt wird, einen Preis der sich leicht und eindeutig bestimmen lässt. Der Preis preisgebundener Bücher bestimmt sich einerseits nach den Herstellungs- und Vertriebskosten einerseits und die durch den Verlag eingeschätzte zu erwartende Nachfrage. Der Preis nicht preisgebundener Bücher wird allein durch die Nachfrage bestimmt. Der Wert eines Textes ist dagegen nicht eindeutig.  

 

Unter "Literatur" werden alle Texte verstanden, fiktionale wie

faktuale. Texte haben einen Preis und einen Wert. Der Preis

wird durch den Markt bestimmt, der Wert durch die Anforderungen

der verschiedenen Zielgruppen an die verschiedenen Textgattungen.

 

Der Gegenstand "Literaturbetrieb" besteht also hauptsächlich aus der Schnittmenge der Felder Literatur und Ökonomie, wobei letzteres das erstere deutlich dominiert. Die Wirklichkeit ist allerdings deutlich komplexer, denn einige weitere Faktoren üben Einfluss auf den Buchmarkt aus: rechtlich-politische Faktoren wie die Preisbindung, technische Faktoren wie der Buchdruck und die Digitalsierung und zuletzt auch ästhetische Faktoren wie die Literaturkritik und die Kanonisierung.

 

Texte werden in ihrer Produktion, Distribution und Rezeption

bestimmt von ökonomischen, rechtlich-politischen, technischen

und ästhetischen Faktoren.

 

Dieses "Feld der Literatur" wird von vielen Akteuren bevölkert, seien es Institutionen oder Personen. Sie handeln mit jeweils unterschiedlich großem Einfluss auf die herrschenden Regeln. Je größer der Einfluss ist, desto wahrscheinlicher ist auch die Möglichkeit, dass er geltend gemacht wird. Erstens zu Gunsten der eigenen Stellung, aber auch um die herrschenden Regeln selbst zu verändern. So wird zum Beispiel von Unternehmensverbänden Einfluss auf den Fortbestand der Preisbindung genommen, ebenso wie Literaturkritiker versuchen, die Kanonisierung der als "wertvoll" geltenden Texte zu den von ihnen präferierten zu beeinflussen.

 

Innerhalb des Literaturbetriebs treten Institutionen und Personen

als (mit-)bestimmende Akteure auf.

 

Institutionen sind beispielsweise der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Literaturvereine, Literaturhäuser, Bibliotheken, einschlägige Verbände und Vereine, (buchwissenschaftliche) Institute usw. Akteure lassen sich häufig den verschiedenen Berufsgruppen zuordnen, aus denen sie auf Grund ihrer Bekanntheit und ihres Einflusses herausstechen und daher als gatekeeper gelten. Besonders prominent dürften die AutorInnen sein.

 

Der Literaturbetrieb lässt sich außerdem in berufspraktischer Hinsicht in verschiedene Teilbranchen gliedern, die sich anhand der Produktions- und Verwertungskette zuordnen lassen: Auftragsvergabe durch die Verlage, Produktion durch die Autoren, häufig sind auch Agenten dazwischen geschaltet, Vertrieb durch den Zwischenbuchhandel und Verkauf an Endkunden durch den Sortimentsbuchhandel usw. Verbreitung außerdem durch die Literaturkritik, durch Literaturhäuser usw. Vereinfachend kann man von einem dreistufigen Buchhandel (und auch Literaturbetrieb) sprechen:

 

Gemäß der Produktions- und Verwertungskette besteht der

dreistufige Buchhandel aus dem herstellenden Buchhandel,

dem Zwischenbuchhandel und dem verbreitenden Buchhandel.

 

Methodische Zugriffsmöglichkeiten

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es drei Zugänge zu dem dargestellten Gegenstand gibt: historisch, theoretisch (d. h. methodisch und analytisch) sowie berufspraktisch. Diese Zugänge schließen einander nicht aus, sondern ein adäquates Verständnis nicht nur des Gegenstandes Literaturbetrieb sondern auch des Gegenstandes Literatur bedingt alle drei Zugänge. Man muss also zunächst zu verstehen versuchen, wie der Buchhandel von der Antike an sich bis zu seiner heutigen Ausprägung entwickelt hat (siehe dazu die Rubrik Geschichte). Dann muss man die Berufspraxis des gegenwärtigen Literaturbetriebs so genau wie möglich beschreiben und in ihrer Funktionsweise und ihren Zusammenhängen zu erklären versuchen (siehe dazu die Rubrik Berufspraxis). Und schließlich - das ist die Aufgabe dieser Rubrik - muss man darstellen, nach welchen Methoden man genau den Literaturbetrieb analysieren kann (siehe dazu die Rubrik Methodik).

 

Der Literaturbetrieb lässt sich historisch, methodisch sowie

berufspraktisch beschreiben und erklären.

 

Begriffsabgrenzung

Es kursiert eine Vielzahl an Wörtern, die sich auf einen ähnlichen Gegenstandsbereich beziehen, aber doch andere Schwerpunkte setzen. Der Begriff Literaturvermittlung wird im Umfeld der Germanistik verwendet. Dementsprechend schränkt er den Literaturbetrieb auf die Distribution ein. So gerät aus dem Blickfeld, dass ökonomische Faktoren starken Einfluss bereits auf die Produktion von Texten ausüben. Die Distribution ein Faktor von vielen, aber bei weitem nicht der einzige. Ebenfalls aus dem Umfeld der Germanistik stammt der Begriff Literarisches Leben. Er ist noch stärker verkürzt, denn er bezieht sich lediglich auf die kulturell-ästhetischen Aspekte der Distribution, wie Lesungen, Rezensionen, Literaturpreise usw. Und schließlich noch stärker eingeschränkt ist der inzwischen kaum noch gebräuchliche Begriff Angewandte Literaturwissenschaft. Er vermittelt den falschen Eindruck, als sei der Literaturbetrieb lediglich eine Teilmenge des Gegenstands der Literaturwissenschaft und nicht ein signifikant anderer und er suggeriert außerdem, es genüge für ein angemessenes Verständnis, einfach die Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft auf den Literaturbetrieb zu übertragen. Dabei ist sowohl ein großer Teil der gehandelten Literatur, nämlich die faktuale, nicht Gegenstand der Literaturwissenschaft und zweitens ist die Berufspraxis nicht Bestandteil der Literaturwissenschaft.

 

Demgegenüber umfassen die Begriffe Buchmarkt und Literaturmanagement zwar beide Aspekte, den inhaltlich-ästhetischen wie den ökonomischen; allerdings hat sich durch ihren Gebrauch die Bedeutung stark zu den Morphemen Markt und Management hin verschoben, weshalb hier die Konnotation zu stark auf dem Ökonomischen liegt.

 

*Mittlerweile ist der Titel "Der Literaturbetrieb. Eine Einführung" von Steffen Richter erschienen, der immerhin eine knappe, wenn auch zugleich verknappende Definition gibt: "Der 'Literaturbetrieb' soll hier verstanden werden als die Gesamtheit der Institutionen, Instanzen und Personen sowie ihrer Beziehungen untereinander, die Rahmenbedingungen für die Produktion, Distribution und Rezeption literarischer Texte bilden." (S. 8).

 

Auswahlliteratur (weitere finden Sie hier)

  • Arnold, Heinz L./Beilein, Matthias: Literaturbetrieb in Deutschland, 3. Aufl., München 2009.
  • Becker, Eva D./Dehn, Manfred: Literarisches Leben. Auswahlverzeichnis von Literatur zum deutschsprachigen literarischen Leben von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Hamburg 1968.
  • Bloch, Peter André (Hg.): Gegenwartsliteratur. Mittel und Bedingungen ihrer Produktion. Eine Dokumentation über die literarisch-technischen und verlegerisch-ökonomischen Voraussetzungen schriftstellerischer Arbeit, Bern/München 1975.
  • Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera: Literatur – Literaturbetrieb – Literatur als "System", in: Heinz Ludwig Arnold/Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft, 2. Aufl., München 1997, S. 79-99.
  • Grisold, Andrea: Wechselbeziehungen von Ökonomie und Massenmedien, in: Tasos Zembylas/Peter Tschmuck (Hg.): Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Perspektiven der Kulturbetriebslehre, Wiesbaden 2006, S. 139-158.
  • Hofecker, Franz-Otto: Kulturbetriebslehre aus der Makroperspektive – Ausgangslage Kulturbetriebslehre, in: Tasos Zembylas/Peter Tschmuck (Hg.): Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Perspektiven der Kulturbetriebslehre, Wiesbaden 2006, S. 175-180.
  • Hömberg, Walter: Verlag, Buchhandel, Bibliothek, in: Helmut Brackert/Jörn Stückrath (Hg.): Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, 6. Aufl., Reinbek 2000, S. 392-406.
  • Kirchberg, Volker: Kulturbetriebe aus neo-institutionalistischer Sicht. Zur Nutzung zeitgenössischer Organisationstheorien bei der Analyse des Kulturbetriebs, in: Tasos Zembylas/Peter Tschmuck (Hg.): Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Perspektiven der Kulturbetriebslehre, Wiesbaden 2006, S. 99-116.
  • Lorenz, Otto: Literarisches Leben, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin/New York 2000, S. 438-441.
  • Neuhaus, Stefan: Literaturvermittlung, Wien 2009.
  • Plachta, Bodo (Hg.): Literarische Zusammenarbeit, Tübingen 2001.
  • Plachta, Bodo: Literaturbetrieb, Paderborn 2008.
  • Porombka, Stephan: Literaturbetriebskunde. Zur „genetischen Kritik“ kollektiver Kreativität, in: Stephan Porombka/Wolfgang Schneider/Volker Wortmann (Hg.): Kollektive Kreativität, Tübingen 2006, S. 72-87.
  • Richter, Steffen: Der Literaturbetrieb. Eine Einführung. Texte – Märkte – Medien, Darmstadt 2011.
  • Rieger, Stefan: Autorfunktion und Buchmarkt, in: Miltos Pechlivanos/Stefan Rieger/Wolfgang Struck/Michael Weitz (Hg.): Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart/Weimar 1995, S. 147-163.
  • Schnell, Ralf: Literarisches Leben, in: Ralf Schnell: Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945, 2., überarb. und erw. Aufl., Stuttgart/Weimar 2003, S. 1-60.
  • Schütz, Erhard (Hg.): Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen, Reinbek 2005.
  • Shell, Marc: The Economy of Literature, Baltimore/London, second printing, 1979.
  • Theisohn, Philipp/Weder, Christine (Hg.): Literaturbetrieb. Zur Poetik einer Produktionsgemeinschaft, München 2013.
  • Tietzel, Manfred: Literaturökonomik, Tübingen 1995.
  • Zembylas, Tasos: Kulturbetriebslehre. Grundlagen einer Inter-Disziplin, Wiesbaden 2004.
  • Zembylas, Tasos/Tschmuck, Peter: Einleitung: Kulturbetriebsforschung und ihre Grundlagen, in: Tasos Zembylas/Peter Tschmuck (Hg.): Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Perspektiven der Kulturbetriebslehre, Wiesbaden 2006, S. 7-14.
  • Zembylas, Tasos/Tschmuck, Peter: Modelle sozialer (Un)Ordnung. Überlegungen zur Konstitution der Forschungsgegenstände der Kulturbetriebslehre, in: Tasos Zembylas/Peter Tschmuck (Hg.): Kulturbetriebsforschung. Ansätze und Perspektiven der Kulturbetriebslehre, Wiesbaden 2006, S. 17-45.
  • Ziesel, Kurt: Die Literaturfabrik. Eine polemische Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb im Deutschland von heute, Wien/Köln 1962.

 


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