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Platon über Händler und den Wert des Wissens

von Michael Buchmann

Platon
Platon

Über den Buchhandel im antiken Griechenland sind nur vereinzelte Zeugnisse überliefert. Diese wenigen aber belegen bereits die Existenz eines Buchhandels. Zwar wurden Bücher überwiegend als Auftragsarbeiten etwa für private Bibliotheken von Sklaven abgeschrieben, aber der Buchhandel des antiken Griechenlands beschränkte sich nicht auf diesen Kleinhandel, sondern es gab durchaus auch Formen des Großhandels mit Büchern, die bis zu den damaligen Grenzen des Reiches verbreitet wurden. Dionysios von Halikarnass beispielsweise berichtet von Buchhändlern, die mit den Gerichtsreden des Isokrates durch die Lande zogen – wenn man so möchte eine frühe Form des Kolportagebuchhandels. Und in der Anabasis des Xenophon wird berichtet, dass an der Schwarzmeerküste von verunglückten Schiffen viele Bücher als Strandgut angespült worden seien. Daraus kann man auf einen regelrechten Fernhandel mit Büchern schließen.

 

Vor diesem Hintergrund muten Platons abwertende Äußerungen über den Handel und die Händler eher weltfremd an, zumal sie sich in ihrer Abwertung auch deutlich von der damaligen ökonomischen Literatur abheben und daher eine bereits damals extrem kulturkonservative Position darstellten. In diesem Zusammenhang griff er insbesondere die Sophisten scharf an. Sie verstanden sich selbst als Weisheitslehrer, die vor allem auch praktisches Wissen vermitteln wollten, darunter auch rhetorische Fertigkeiten, um so zur Lebensklugheit zu verhelfen. Dieses Wissen vermittelten sie meist gegen Bezahlung. Genau dies veranlasste Platon dazu, die Sophistik polemisch als die Kunst Geld zu verdienen zu bezeichnen und die Sophisten als Händler zu disqualifizieren. Denn Handel zu treiben galt als unschicklich und für Platon waren Händler darüber hinaus zwangsläufig auch Betrüger. In den Gesetzen schreibt er: „Den Praktiken der Fälscher folgen auf dem Fuß die des Kleinhandels.“ Das Problem sieht Platon beim Handel vor allem in der Unmäßigkeit der Händler, die immer nach einem größtmöglichen Gewinn strebten; und bei den Sophisten kritisiert er, dass sie dem Wissen einen Preis gäben. Denn es gab bereits damals einen Markt für das Wissen, und wenn auch der Preis nicht zwangsläufig dem Wert des Wissens entsprach, so war es doch überdeutlich, dass einige Sophisten sehr reich mit der Vermittlung von praktischem Wissen wurden. Platon versuchte im Gegenzug, die Begriffe Philosophie und Wahrheit für sich zu besetzen und war langfristig damit mit dieser Strategie erfolgreich, nicht zuletzt deshalb, weil er sich derselben rhetorischen Kniffe wie die Sophisten bediente, nur viel unauffälliger. Denn auch die „Wahrheit“ muss beim Publikum erst verbreitet werden und sich beim Publikum auch durchsetzen.

 

Aristoteles relativierte die rigiden Ansichten seines Lehrers Platon und kommt so in seiner Rhetorik zu Erkenntnissen, die aus heutiger Sicht geradezu modern anmuten. Er anerkennt nicht nur die Unhintergehbarkeit des Publikumsbezugs, sondern spricht sogar von einer dezidierten Ausrichtung auf die Zuhörer: „Eine Rede besteht nämlich aus dreierlei: einem Redner, einem Gegenstand, worüber er spricht, und einem Publikum; und der Zweck der Rede ist nur auf ihn, den Zuhörer, ausgerichtet.“ Dies bedeutet mit heutigen Begriffen ausgedrückt nichts anderes als die konsequente Ausrichtung auf die Zielgruppe. Wie gezielt und berechnend diese Zielsetzung ist, kann man einem weiteren Zitat der Rhetorik entnehmen, die die Ausrichtung der Rede auf die Zielgruppe der Multiplikatoren und Entscheidungsträger empfiehlt: „Daher soll man in seinen Reden nicht von den Meinungen aller ausgehen, sondern von den Ansichten einer bestimmten Gruppe wie der der Richter oder der Leute, die diese respektieren, […].“ Auch die Doppelmoral bezieht Aristoteles in seine Überlegungen mit ein; man müsse bei der Gestaltung seiner Rede vom Eigennutz der Zuhörer ausgehen, die so ausgerichtete Rede aber öffentlich dann als moralisch integer verbrämen: „Weil die Menschen öffentlich nicht dasselbe loben wie insgeheim, sondern öffentlich das Gerechte und Edle über die Maßen, privat aber eher ihren Vorteil wollen, ergibt sich ein weiterer Topos dadurch, daß man daraus das eine oder andere herzuleiten versucht; […].“

 

Während Platons Texte überwiegend als Abschriften im Umfeld seiner Akademie zirkulierten, vertrieb Hermodoros, ein Schüler Platons, dessen Schriften ohne Einwilligung des Autors aber immerhin unter dessen Namen in Sizilien. Platon trat aber auch als Kunde im Literaturbetrieb in Erscheinung. Nach einem Bericht von Diogenes Laertius schickte Platon seinen Freund Dion nach Sizilien um drei Bücher für die damals stattliche Summe von hundert Minen zu kaufen. Außerdem berichtet er, dass Platon ebenso wie die von ihm gescholtenen Kleinhändler dem Geld nicht abgeneigt war; vom Tyrannen Dionysos erhielt er die stattliche Zuwendung von achtzig Talenten. Vom Kyniker Diogenes wird folgende Anekdote berichtet, die die Diskrepanz zwischen Arbeit und Zuwendung durch Herrscher veranschaulicht: „Platon beobachtete ihn [Diogenes], wie er Kohl abspülte; er trat an ihn heran und sagte leise zu ihm: 'Hättest du dich dem Dionysios fügsam erwiesen, so brauchtest du keinen Kohl zu waschen.' Dieser aber habe ebenso leise geantwortet: 'Und hättest du dich zum Kohlabspülen herabgelassen, so hättest du dich nicht dem Dionysios dienstbar gemacht.'“ Dieses Verhalten Platons soll wiederum Onetor zu einer Schrift mit dem Titel Ob der Weise sich auf Gelderwerb legen wird? veranlasst haben.

 

Literatur

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