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Nicolai und das Getriebe der Gelehrten

von Michael Buchmann

Friedrich Nicolai
Friedrich Nicolai

Friedrich Nicolai ist aus dem breiten literaturgeschichtlichen Gedächtnis weitgehend verschwunden. Der Sohn eines Buchhändlers war nicht nur selbst gelernter Buchhändler, übernahm nicht nur im Jahr 1758 die väterliche Buchhandlung, sondern war auch ein Hauptakteur der Berliner Aufklärung. Zu dieser Zeit bedeutete Buchhändler zu sein allerdings noch soviel wie Verlegersortimenter zu sein, also sowohl Bücher zu verlegen als auch zu verkaufen bzw. zu tauschen. Schuld an seinem Vergessen ist vor allem Nicolais Niederlage im Streit mit den sogenannten Weimarer Klassikern, insbesondere mit dem Goethe der Sturm und Drang-Phase. Am heftigsten tobte der Streit um dessen Bestseller Die Leiden des jungen Werthers, denn Nicolai hatte eine Parodie mit dem Titel Freuden des jungen Werthers verfasst, was Goethe maßlos erboste. Nicolais Kritik richtete sich hauptsächlich gegen die bis zur Lebensverneinung übersteigerte Schwärmerei, von der sich viele zeitgenössische Leser anstecken ließen und ließ deshalb seine Wertherfigur mit Lotte ein glückliches bürgerliches Eheleben führen. Goethe wiederum ließ keine Gelegenheit aus, Nicolai zu verunglimpfen. Am unfeinsten, aber spektakulärsten gelang ihm dies wohl mit seinem Gedicht Nicolai auf Werthers Grab: „Ein junger Mensch ich weiß nicht wie,/Starb einst an der Hypochondrie/Und ward dann auch begraben./Da kam ein schöner Geist herbei/Der hatte seinen Stuhlgang frei,/Wie ihn so Leute haben./Der setzt sich nieder auf das Grab,/Und legt ein reinlich Häuflein ab,/Schaut mit Behagen seinen Dreck,/Geht wohl erathmend wieder weg,/Und spricht zu sich bedächtiglich:/'Der arme Mensch, er dauert mich/Wie hat er sich verdorben!/Hätt' er geschissen so wie ich,/Er wäre nicht gestorben!'“

 

Nicolais Ablehnung des Schwärmerischen und seine Bevorzugung praktischer Vernunft zeigt sich neben seiner Ablehnung der Schwärmerei auch in seiner bodenständigen und desillusionierten Einschätzung des Literaturbetriebs. Im Jahr 1768 schreibt er an Lessing: „Freilich habe ich es Ihnen, wie Sie wissen, schon oft eingeprägt, daß die Buchhändler von den gelehrten und vernünftigen Büchern gar nicht reich werden, […] Inzwischen [habe] ich […] das besondere Glück […], daß in meinem Verlage viel schlechte Bücher, die gut abgehen, befindlich sind, […]“. Seine Erfahrungen als Buchhändler und Verleger lässt Nicolai mit der Naivität der Schwärmer in der Form zweier Figuren in seinem Roman Sebaldus Nothanker aufeinander prallen.

 

Der naive Landpfarrer Sebaldus Nothanker ist durch seine Leichtgläubigkeit, Gutmütigkeit aber auch moralische Standfestigkeit nach und nach gesellschaftlich abgestiegen, bis er schließlich gezwungen ist, als freischaffender Korrektor für mehrere Druckereien zu arbeiten. Zu Beginn seiner Tätigkeit wird er durch einen erfahrenen und zynischen Korrektor, den „alten Magister“, der es seinerseits seiner sozialen Gehemmtheit wegen nicht weiter gebracht hat, über die Beschaffenheit des Literaturbetriebs aufgeklärt. Seine Aussagen lassen sich mit dem Satz zusammenfassen: „[Bücherschreiben ist] ein solches Gewerbe, worin jeder den Nutzen so sehr auf seine Seite zu ziehen sucht, als es nur möglich ist.“ Und dieser Satz lässt sich ohne weiteres auf den ganzen Roman selbst anwenden, denn Nicolai nutzte hier dieselbe Taktik wie später bei seinen Freuden des jungen Werthers, indem er sich nämlich mit seinem Roman ausdrücklich auf einen Erfolgstext bezog und dessen Figuren übernahm und so hoffte, vom Erfolg der Vorlage zu profitieren. Im Fall des Sebaldus Nothanker bestand die Vorlage in Wilhelmine oder der vermählte Pedant von Moritz August von Thümmel, ein Text den Goethe ausdrücklich gelobt hatte. Nicolais Taktik ging so gut auf, dass sein Roman zwei Fortsetzungen erlebte.

 

Sein Roman findet in den Schicksalen der Protagonisten ein zwiespältiges Ende. Zwar lehnt der Verlegerfreund Nothankers die Veröffentlichung von dessen Lebenswerk, einem Kommentar zur Apokalypse, so höflich wie möglich ab, doch Nothanker verfällt auf die Idee des Selbstverlags in Kombination mit Subskription. Dies ist eine deutliche Anspielung auf Klopstock, dessen Messias im selben Jahr wie der Sebaldus Nothanker ebenfalls im Selbstverlag nach Subskription erschien. Auch ein empfindsamer Dichter mit dem sprechenden Namen Säugling kommt zum Ende der Handlung noch zu seiner lang ersehnten ersten Veröffentlichung, obwohl er mittlerweile statt als Dichter als Landwirt sein Auskommen findet. Der stolze Titel seines Werkes lautet: Abhandlung vom Bau der Kartoffeln. 


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