Die Fruchtbringende Gesellschaft – eine Sprachnormautorität. Kupferstich von Matthäus Merian (1646).
Die Fruchtbringende Gesellschaft – eine Sprachnormautorität. Kupferstich von Matthäus Merian (1646).

Sprachnormautoritäten im sozialen Kräftefeld einer Standardvarietät

von Florian Grundei

 

Ulrich Ammon stellt in seinem Text »Standard und Variation: Norm, Autorität, Legitimation« (Ammon 2005) alle wesentlichen Instanzen zusammen, die in einer Standardvarietät einer Sprache existieren, um bestimmte Kodizes zu tradieren und Normen festzulegen (ebd.: 33ff.). In seinem modellierten Kräftefeld abgebildet werden der ›Sprachkodex‹, also ein durch Kodifizierer erstellter Kodex, bspw. der ›Duden‹; ›Sprachexperten‹, also ein bestimmter abstrakter Zusammenschluss von Menschen, die sich professionell mit Sprachen beschäftigen, bspw. Linguisten an Universitäten; ›Modellsprecher und -texte‹, also bestimmte Personen oder Texte, die (medial) verstärkt wahrgenommen werden; sowie die ›Sprachnormautoritäten‹, auf denen hier der Fokus liegen soll. Die verschiedenen Instanzen bedingen sich gegenseitig, sind voneinander abhängig und spiegeln in sich Sozialstrukturen wider. So spiegeln sich bspw. in der Instanz der Modellsprecher Repräsentanten der massenmedial beeinflussten sprachlichen Kommunikation wider, in der institutionellen Sprachnormautorität das politische System etc. Innerhalb des Kräftefeldes kommt es zwangsläufig zu Konflikten (vgl. Ammon 1995: 80), denn mit der Möglichkeit der Einflussnahme einer Instanz auf die Anderen besteht auch die Möglichkeit der Veränderung der Instanzen zugunsten eines Einflussnehmenden. Dies zeigt sich deutlich am ›Frankfurter Appell‹[1] aus dem Jahr 2004: Hierin sprechen sich Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft gegen die Umsetzung der Rechtschreibreform aus dem Jahr 1996 aus. Es handelt sich hierbei um ein Dokument, das von durch ihren Status legitimierten Experten unterzeichnet wurde, die sich in eine öffentlich geführte Diskussion, in diesem Fall zu der Frage, ob die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 sinnvoll ist oder nicht, einschalten. Hierdurch wird Druck auf die normsetzenden Instanzen ausgeübt, d.h. auf die ›Sprachnormautoritäten‹ wie beispielsweise den in dieser Arbeit weiter unten näher behandelten ›Rat für deutsche Rechtschreibung‹. Dieser wurde mit politischem Willen installiert und gefördert und mit der Umsetzung der durch den ›Frankfurter Appell‹ kritisierten Reform der deutschen Rechtschreibung beauftragt. Es kollidieren hier folglich die unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich einer legislativ-nivellierten orthographischen Sprachnormierung innerhalb des von Ammon dargestellten Kräftefeldes. So stellt sich die Frage, was ›Sprachnormen‹ eigentlich sind.

 

Zum Begriff der ›Sprachnorm‹: Plurale Definitionsansätze

Markus Hundt (2009) stellt fest, dass der Begriff der ›Sprachnorm‹ innerhalb der linguistischen Disziplinen äußerst kontrovers diskutiert wird und dementsprechend viele Definitionsansätze vorliegen, dass es jedoch einen ›common sense‹ in der wissenschaftlichen Gemeinschaft bezüglich der basalen Annahmen über die Sprachnorm gebe. Dazu zählt Hundt die Termini ›Obligation‹, den ›Geltungsanspruch‹, die ›Sanktion‹, die ›Sprachnormengenese‹ und die ›Wertorientiertheit‹ von Normen (ebd.: 118f).[2] Zudem konstatiert Hundt, dass Sprachnormen auch ohne eine »explizite Kodifizierung« wirken können, dass Sprachnormen sich durch diese nicht zwingend vorhandene Explizitheit von ›Gesetzen‹ unterscheiden (ebd.: 119f) und dass sie sich dementsprechend institutionsunabhängig durchsetzen können (ebd.: 135). Die Auswirkungen dieser Differenzierung auf die ›Sprachnormautoritäten‹ werden weiter unten behandelt. Hundt unternimmt einen Definitionsversuch zum Begriff der ›Sprachnorm‹: »Sprachnormen sind aus dem tatsächlichen Sprachgebrauch rekonstruierte Regeln des systemgerechten Gebrauchs« (ebd.: 121). Diese Definition weitet das Ammonsche Modell zum einen aus, zum anderen schwächt es bei Ammon wichtige Instanzen. Hundt rückt den Sprachproduzenten, also die Gemeinschaft der Sprechenden in das Zentrum seines Modells, er sieht diese im Ammonschen Kräftefeld zu wenig repräsentiert; zugleich schwächt er die Bedeutung von Korrektoren und Kodifizierern ab – dies tangiert folglich auch Sprachnormautoritäten – zugunsten der Gemeinschaft der Sprachproduzenten, da diese »letztlich für die Etablierung der in aller Regel subsistenten, emergierenden Normen« sorge (ebd.: 123).

 

Kritisch-rationale und diskursanalytische Betrachtung von institutionellen Sprachnormautoritäten

Ich möchte mich in Bezugnahme zu Formulierungen von Ammon und Hundt in den folgenden Ausführungen auf institutionelle Sprachnormautoritäten konzentrieren: Diese stellen einen »Ausnahmefall« (ebd.: 135) dar, da Normen wie oben beschrieben institutionell unabhängig durchsetzbar sind und institutionelle Sprachnormautoritäten seltener auftreten. Dies gilt allerdings nicht für den Bereich der Orthographie, auf dem der Fokus dieser Arbeit liegt.

Stellt man sich im Reflex auf das oben genannte Beispiel des ›Frankfurter Appells‹ nun die Frage, wer hier wen aufgrund welcher Zusammenhänge in welcher Form kritisiert, beobachtet man einen Diskursraum, indem diejenige Instanz einem Angriff ausgesetzt wird, die die Norm legislativ durchsetzt und damit auf diesem Feld autoritären Charakter besitzt. Diese Instanz kann zugleich auch eine mit staatlichem Willen geförderte Institution sein, die es sich zum Ziel macht, anhand der ihr zugewiesenen Entscheidungskompetenz bestimmte Normen zu setzen und somit direkten, zum Teil sogar gesetzlich bindenden Einfluss ausübt. Michel Foucault hat in seinen Studien über den Charakter von Diskursen herausgearbeitet, dass es Instanzen gibt, die sich zum Ziel machen »Kräfte und Gefahren des Diskurses zu bändigen« (Foucault 1991: 11). Diese Form der »Bändigung« kann mit bestimmten Arten von Exklusion geschehen. Eine Institution ist mit der ihr zugewiesenen Kompetenz und einem damit einhergehenden Machtapparat in der Lage, bestimmte Formen von Opposition anhand eines Verbotes aus dem sozialen Gefüge auszuschließen. Überträgt man diese Exklusionsgewalt auf die Sprache und auf die Sprachpolitik, so stellt man fest, dass es bestimmte Institutionen gibt, die anhand ihrer zugewiesenen Kompetenzen ebenfalls in der Lage sind, bestimmte Methoden der Exklusion in Form von Normen und Verboten anzuwenden, die schließlich zur Obligation werden (vgl. Hundt 2009: 118, 129).

Eine solche Institution im Bereich der Sprachnormautoritäten ist beispielsweise der ›Duden‹ und seine Redaktion. Doch wer legitimiert den Redakteur in dieser Institution, der in seiner Arbeit also für einen bestimmten autoritativen Sprachkodex zuständig ist, bestimmte Wörter unter soziolinguistischen Prämissen in einer bestimmten Weise zu konnotieren? Ammon konstatiert, dass derzeit ein »deskriptiver Bescheidenheitsgestus« (Ammon 2005: 35) vorherrsche, doch dieser gestaltet sich nicht ohne eine inhärente normative Absicht. Gewiss fußt die Arbeit des Redakteurs auf empirischen Korpora, die möglichst induktiv inventarisiert werden, doch letztendlich handelt es sich bei der Kategorisierung von Wörtern durch den Redakteur um eine bewusste Entscheidung der Normsetzung, die sich jenseits dieser methodologischen Prämissen verortet, letztendlich obliegt die Entscheidungsgewalt dem Redakteur selbst, beziehungsweise der maßgeblichen Instanz ›Redaktion‹ als kollektivem Gremium. Hier äußert sich ein altes hermeneutisch-wissenschaftstheoretisches Problem, das im 20. Jahrhundert in Schriften Karl Poppers behandelt wird und schließlich im »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie« mündete: Wie gehen wir mit Begriffen wie ›Wahrheit‹ oder ›Theorie‹ um? Speziell in Bezug auf die Sprachnormautoritäten meine ich die Suche nach einer Theorie der Sprachnormfestsetzung. Denn sind wir wirklich vorurteilsfreie neutrale Instanzen in unserer wissenschaftlichen Disziplin, oder führt jegliche wissenschaftliche Arbeit zwangsweise nach einer bestimmten Periode der Etabliertheit zur Immunisierung derselben gegen Kritik von außen und somit zur von Popper konstatierten Illegitimität (vgl. Popper 1969: 113f), eben weil wir inhärent normativ vorgehen? Anders, aber mit Popper gefragt: Lösen wir Probleme, indem wir explizit normativ vorgehen? Foucault analysiert auf einer systematischen Oberfläche einen bestimmten »Willen zur Wahrheit«, der einen Diskurs hervorruft, welcher sich wiederum auf eine »institutionelle Basis« (Foucault 1991: 15) stützt. Zeugnisse dieses Willens erkennt er im »System der Bücher, der Verlage und der Bibliotheken, den gelehrten Gesellschaften einstmals und den Laboratorien heute« (ebd.). Hier nun schließt sich der Bogen zurück zur Sprachnormautorität, die sich in dieser Anreihung von Foucault als eine diese Begriffe umschließende Instanz wiederfindet. Popper hätte einen »Willen zur Wahrheit« als »positivistisch« zurückgewiesen und ihn kritisiert. Für Popper gibt es keine letztgültige Wahrheit, da jede Lösung von Problemen, in unserem Fall also das Problem einer bestimmten Normsetzung innerhalb der Orthographie, zu neuen Problemen führt. Es gibt für Popper zudem keine letztendliche Gültigkeit von Theorien, doch ändert dies nichts daran, dass der Diskurs mit bestimmten Methoden, einem theoretischen Fundament und bestimmten Terminologien funktioniert. Die Meinung Poppers kollidiert folglich massiv mit allem institutionellem Willen, bestimmte Dinge in bestimmten Wegen zu »kanalisieren« (Foucault 1991: 11), doch scheint dieser Wille historisch begründbar zu sein. Hier spielt die Sprachpolitik der Neuzeit und die Entstehung nationaler Philologien eine entscheidende Rolle. Ich will dies im nachfolgenden Kapitel näher untersuchen.

Es lässt sich festhalten, dass institutionelle Sprachnormautoritäten Zeugnisse eines bestimmten (teilweise politisch intendierten) Willens zur Bindung an Normen sind. Sie werden installiert als Orte der »Wache, Koordinierung und Anregung« (Dalmas, 2009: 361) und stellen innerhalb des von Ammon aufgezeigten und von Hundt erweiterten diskursiven Kräftefeldes jene Instanz dar, die mit einer legislativen Kompetenz ausgestattet ist.

 

Zur Problematik der institutionellen Sprachnormautoritäten in plurizentrischen Sprachen

Ammon folgend, verfügen plurizentrische Sprachen über mehr als zwei Sprachzentren, in denen sich diese Sprachen in verschiedenen Standardvarietäten ausprägen. Standardvarietäten können sich in bestimmten Gebieten staatlichen Charakters verorten, in denen eine bestimmte Amtssprache obligatorisch ist. Ammon weist jedoch explizit auf die Problematik der Verortung und Kategorisierung von Standardvarietäten in suprastaatlichen Gebieten hin, also auf die für die nationalen Varietäten einer Sprache wichtigen Dialektregionen, sowie auf die Problematik bei der Kategorisierung von Standardvarietäten in multilingualen Gebieten staatlichen Charakters (vgl. Ammon 1995: 12-17). Er schließt daraus, dass es bestimmte »Vollzentren« und »Halbzentren« einer Sprache gibt (ebd.: 96). Dies ist ein wichtiger Punkt in Bezug auf den Fokus dieser Arbeit, denn die Zusammensetzung des ›Rates für die deutsche Rechtschreibung‹ berücksichtigt zwar alle Sprechergruppen der deutschen Sprache in Europa, doch die Mitglieder werden nach Gesichtspunkten der nationalen Herkunft rekrutiert. Die BRD stellt die meisten Mitglieder, doch relativ gesehen spiegelt die Zusammensetzung nicht die unterschiedliche Bevölkerungszahl der hier institutionell vereinigten Voll- und Halbzentren des Deutschen wider.

Die Geschichte der modernen Nationalstaaten und insbesondere in Europa die Entwicklungen der Französischen Revolution haben enorme Auswirkungen auf die französische und später auf die europäische Sprachpolitik gehabt. Gewiss gab es, wie Martine Dalmas darstellt, in Frankreich bereits vor der Revolution eine Sprachpolitik mit Tendenzen zur »Vereinheitlichung der Gerichtssprache« (Dalmas 2009: 356), die Grammatiker, sowie die Gründung der ›Académie française‹, die bis heute existiert und wohl das bekannteste Beispiel einer institutionellen Sprachnormautorität darstellt, doch hatten diese keinen so durchdringenden Erfolg wie die während der Revolution forcierte Sprachpolitik. Ammon konstatiert, dass im revolutionären Frankreich das Ziel bestand, »dem ganzen französischen Staat, der sprachlich recht buntscheckig war, ein einheitliches sprachliches Gewand in Form des Standardfranzösischen zu verpassen« (Ammon 1995: 19). Es ging in Frankreich also darum, die sprachlichen Grenzen an die nationalen Grenzen anzupassen und somit die letzten Lücken zwischen einheitlicher Sprache und zusammenhängendem nationalem Gebiet zu schließen, um einen Nationalstaat zu gründen. Das Ziel dabei war, so konstatiert Ammon, die Partizipation der Bürger am demokratischen Prozess (vgl. ebd.). In den deutschsprachigen Gebieten gestaltete sich die Situation aufgrund der Klein- und Kleinststaaten anders. Mit vielfältigen Stimmen aus der Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts belegt Ammon den vonseiten der (mitteldeutschen!) Literaten konstatierten Mangel eines großen Einheitsstaates trotz ›gleicher‹ Sprache, terminologisch präziser: trotz gleicher Standardvarietät – gleichzeitig grenzen sich alle aufgeführten Literaten entschieden vom Begriff ›Nation‹ ab, der dem Erzfeind Frankreich zu nahe steht, und sprechen sich für den Begriff des ›Volkes‹ aus (vgl. Ammon 1995: 20-23). Ammon vollzieht des Weiteren eine hilfreiche terminologische Differenzierung der Begriffe ›Nationalstaat‹, ›Sprachnation‹ und ›Staatsnation‹ hin zu ›unilingualer Nationalstaat‹, ›Sprachgemeinschaft‹ sowie ›multilingualer Nationalstaat‹ bzw. ›Staat eines Nationsteils‹ bzw. ›multinationaler Staat‹ (Ammon 1995: 34).

Schließlich lässt sich festhalten: Treffen in einem Sprachgebiet Staaten mit verschiedenen Standardvarietäten einer Sprache zusammen, die jeweils ein ›Vollzentrum‹ bilden, dann ist dies ein Anzeichen für eine plurizentrische Sprache.

Übertragen auf das oben beschriebene Kräftefeld einer Standardvarietät stelle ich nun die Frage, wie Sprachnormautoritäten in einer plurizentrischen Sprache agieren. Ammon beschreibt eine bestimmte »Hierarchie von Normautoritäten«, die von höchsten staatlich eingesetzten Instanzen bis hin zu den Korrektoren in Schulen und Ämtern reicht (vgl. Ammon 1995: 76): Dieser Hinweis ist wichtig insofern, als dass betont wird, dass »letztlich […] gewissermaßen der Staat die Verbindlichkeit der Normen der Standardvarietät« verbürge (ebd.). In plurizentrischen Sprachen jedoch verfügt jeder einzelne Staat über jeweils anders organisierte Institutionen und Instanzen, die als »Normautorität« verstanden werden können. Eine Sprachgemeinschaft, deren Sprachgebiet sich über staatliche Grenzen hinaus erstreckt, kann es je nach sprachpolitischer Ansicht als nötig und angebracht empfinden, dass sich die jeweiligen Mitglieder der Sprachgemeinschaft eine supranationale Instanz schaffen, die sich um die Belange der Normierung kümmern soll.[3] Im Bereich der Orthographie des Deutschen, auf dem der Fokus dieses Textes liegt, ist dies seit 2005 beispielsweise der »Rat für deutsche Rechtschreibung«.

 

Die plurizentrische deutsche Sprache und der »Rat für deutsche Rechtschreibung«

Die heute existierenden Staaten Bundesrepublik Deutschland, Republik Österreich und die Schweizerische Eidgenossenschaft kategorisiert Ammon folgendermaßen: Die BRD und Österreich bilden, abgesehen von den nicht-deutschsprachigen Minderheiten einen »unilingualen Nationalstaat«, die Schweiz bildet einen »multilingualen Nationalstaat« (ebd.). Hieraus herleiten lässt sich die These der Plurizentrizität des Deutschen, welches sich in den jeweils unterschiedlich gestalteten Nationalstaaten in unterschiedlichen Standardvarietäten ausprägt (zum linguistischen Diskurs hierzu vgl. ebd.: 42-49).

Die Orthographie als institutionell normierte Schreibung und die Durchsetzung derselben in den Institutionen des Staates, also schließlich bei jedem einzelnen seiner Bürger, stellt spätestens seit der Französischen Revolution von 1789 ein zentrales Anliegen des neuzeitlichen Staates dar (vgl. Abschnitte 2.2. und 3.). Die schriftliche Kommunikation hat seit der Differenzierung der Lebenskonzepte und seit der stetig steigenden Alphabetisierungsrate an Bedeutung gewonnen. Der Staat und seine Bildungseinrichtungen haben sich zum Ziel gesetzt, Menschen so auszubilden, dass ihr orthographisches Verständnis dem allgemeinen Standard der Normierung entspricht. Die normsetzenden Instanzen haben dabei die Aufgabe, über die Durchsetzung der Norm zu wachen und Problemfelder dabei aufzuzeigen und zu kommunizieren. Der 2005 eingesetzte ›Rat für die deutsche Rechtschreibung‹ soll genau dies vollziehen. Die Aufgaben des Rates lassen sich aus seinem Statut herauslesen: »Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum«, »Weiterentwicklung der Rechtschreibung auf der Grundlage des orthographischen Regelwerks […] im unerlässlichen Umfang«, »ständige Beobachtung von Zweifelsfällen […]« sowie die »Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache« (»Statut des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 17.6.2005 i.d.F. vom 16.1.2006«). Hierbei agiert der Rat supranational, das heißt, er setzt sich aus Mitgliedern der Sprachgemeinschaft des Deutschen zusammen: Achtzehn Mitglieder kommen aus der BRD, neun Mitglieder aus der Republik Österreich, neun Mitglieder aus der Schweizer Eidgenossenschaft, ein Mitglied aus dem Fürstentum Liechtenstein, ein Mitglied aus der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol sowie ein Mitglied aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (vgl. Statut 2005 im Dokumentenanhang).

Der Rat stellt insofern eine ›Sprachnormautorität‹ dar, als dass er als kritisches Forum die Entwicklungen des maßgeblichen Dokuments zur deutschsprachigen Orthographie, dem ›Amtlichen Regelwerk‹ begleitet. Der Rat wurde im Zuge der Rechtschreibreform als Instanz installiert, was jedoch nicht heißt, dass innerhalb des Gremiums Einigkeit bezüglich der Reform herrscht. (vgl. Dürscheid 2006: 182) Der Rat hat des Weiteren die Pflicht über seine internen Beschlüsse den »zuständigen staatlichen Stellen« alle fünf Jahre einen Bericht zu übermitteln sowie amtlich oder schulpolitisch relevanten Personen Auskünfte und die Möglichkeit einer Anhörung zu geben (vgl. Statut 2005: Punkt 3.4., 3.5.) Die Beschlüsse des Rates sind zudem keinesfalls verbindlich, sondern dienen lediglich als Empfehlungen. Diese Empfehlungen wiederum bedürfen der Zustimmung der staatlichen Behörden, die den Rat eingesetzt haben (vgl. ebd.: 183).

In Bezugnahme auf das Beispiel des ›Frankfurter Appells‹ zu Beginn dieser Arbeit möchte ich nun fragen, wie der Rat auf diesen reagiert haben mag. Innerhalb der Struktur des Rates ist es möglich, bestimmte Empfehlungen bezüglich des ›Amtlichen Regelwerkes‹ zu formulieren, es besteht also prinzipiell die Möglichkeit zur Veränderung, nur bedarf diese wiederum der Zustimmung anderer staatlicher Instanzen. Die Wirkungskraft des Appells jedoch hat sich anscheinend als zu schwach erwiesen, da innerhalb der vergangenen Jahre auch die letztverbliebene größere oppositionelle Instanz mit Modellschreibercharakter zur reformierten Orthographie übergegangen ist: Die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹.[4] Übertragen lässt sich daraus herleiten, dass der Rat es bislang anscheinend geschafft hat – obgleich er in sich selbst gespaltene Meinungen trägt – oppositionelle Strömungen gegen die reformierte Orthographie im plurizentrischen Sprachraum des Deutschen abzuwehren.

 

Literaturverzeichnis

Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin/New York: Walter de Gruyter.

 

Ders. (2005): Standard und Variation. Norm, Autorität, Legitimation. In: Eichinger, Ludwig M.; Kallmayer, Werner (Hrsg.): Standardvariation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? Institut für deutsche Sprache, Jahrbuch 2004. Berlin/New York: Walter de Gruyter.

 

Dalmas, Martine (2009): Richtiges Deutsch – richtig deutsch. Normativität in französischer und deutscher Grammatik. In: Konopka, Marek; Strecker, Bruno (Hrsg.): Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch. Berlin: Walter de Gruyter.

 

Dürscheid, Christa (2006): Einführung in die Schriftlinguistik. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.

 

Foucault, Michel (2010, erw. Aufl. a.d.J. 1991): Die Ordnung des Diskurses. Aus dem Französischen von Walter Seitter. Mit einem Essay von Ralf Konersmann. Frankfurt/M.: Fischer.

 

Hundt, Markus (2009): Normverletzungen und neue Normen. In: Konopka, Marek; Strecker, Bruno (Hrsg.): Deutsche Grammatik. Regeln, Normen, Sprachgebrauch. Berlin: Walter de Gruyter.

 

Popper, Karl R. (1969): Die Logik der Sozialwissenschaften. In: Adorno, Theodor W.; Albert, Hans; Dahrendorf, Ralf; Habermas, Jürgen; Pilot, Harald; Popper, Karl R.: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Soziologische Texte 58. Maus, Heinz; Fürstenberg, Friedrich (Hrsg.) Neuwied/Berlin: Luchterhand.

 

Internetquellen:

http://www.faz.net/artikel/C30189/in-eigener-sache-f-a-z-passt-rechtschreibung-an-30139355.html; gesichtet am 25.6.2011, 12.55h

 

www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,321776,00.html; gesichtet am 15.6.2011, 20.47h

 

http://www.welt.de/kultur/article344682/Frankfurter_Appell_gegen_Rechtschreibreform.html; gesichtet am 15.6.2011, 20.47h

 

 



[1] Vgl. hierzu http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,321776,00.html ; http://www.welt.de/kultur/article344682/Frankfurter_Appell_gegen_Rechtschreibreform.html [beide gesichtet am 15.6.2011, 20.47h]

[2] Aus Gründen der Quantität kann hier nicht näher auf diese Begriffe eingegangen werden.

[3] Auf die Abschwächung des Begriffes »Sprachnormautorität« wurde bereits in 2.1. hingewiesen.

[4] Vgl. hierzu http://www.faz.net/artikel/C30189/in-eigener-sache-f-a-z-passt-rechtschreibung-an-30139355.html; [gesichtet am 25.6.2011, 12.55h]

 

 

Florian Grundei ist Redakteur bei Texturen-Online.

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