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Modick, Glavinic und Stuckrad-Barre als Mitarbeiter und Kritiker der Unterhaltungsindustrie

von Michael Buchmann

 

Klaus Modick
Klaus Modick

  Sowohl Klaus Modick als auch Benjamin Stuckrad-Barre und Thomas Glavinic thematisieren in ihren Texten kritisch die Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen ihrer eigenen Texte und damit den Literaturbetrieb. Stuckrad-Barre beschreibt in Livealbum die Lesereise eines Autors. Er respektive der Erzähler versteht seine Rolle als Autor so: „Als Mitarbeiter der Unterhaltungsindustrie war ich bereit, ihnen einige Sätze mitzugeben, von allem was, je nach Bedarf, die wollten es eher provokant oder lustig, so schien mir, kein Problem, ich hätte aber auch den nachdenklichen Zauderer auf Lager gehabt, den verzweifelt Suchenden, und, wenn alles nicht zog, zur Not auch den pöbelnden Defätisten. Ich funktionierte leidlich, […].“ Es ist Teil des Spiels dieser Autoren, zu versuchen, die Erwartungen und Fremdzuschreibungen von Lesern und Kritikern zu ihrem Vorteil zu lenken. Da man sich dafür allerdings einerseits diesen Erwartungen und andererseits den Spielregeln des Literaturbetriebs anpassen muss, fühlt sich der Erzähler in Livealbum gleichzeitig auch entfremdet und fremdbestimmt: „Ich benahm mich mittlerweile ohnehin so geil künstlich, daß alles nicht mehr weh tat. […] Die Unterhaltungsindustrie erschien mir wie Hundetraining: Jemand wirft Bälle, und man rennt hinterher, holt den Ball, gibt ihn ab, damit der Kopf kurz gestreichelt, der Ball unterdessen aber schon wieder weggeworfen wird, und man erneut hinterherrennen kann.“

 

Man kann man bei diesen Autoren immer wieder beobachten, dass sie systematisch versuchen, die Grenze zwischen Fiktion und Realität und insbesondere zwischen Erzähler und Autor zu verwischen. In Livealbum schreibt Stuckrad-Barre beispielsweise: „In die Fluten kotzen, es kam jetzt von selbst. Wahrscheinlich auch noch einiges andere. Die Seele aus dem Leib, sagt man ja so. Sehr autobiographisch alles.“ Andererseits versuchte derselbe Stuckrad-Barre, diese Grenze zwischen Fiktion und Realität gerichtlich einzuklagen, wenn er mit solchen Szenen als reale Person in Verbindung gebracht wurde. Und Thomas Glavinic leiht dem Erzähler von Das bin doch ich seinen Namen, wodurch das Verwechselspiel zum Programm wird. Der mäßig erfolgreiche fiktive Glavinic schreibt an dem Buch Die Arbeit der Nacht. Gleichzeitig steht er in ständigem Kontakt zu seinem Freund Daniel Kehlmann, der gerade mit Die Vermessung der Welt einen Hit gelandet hat und mit dem er beständig per SMS die aktuellen Verkaufszahlen austauscht. Der Wunsch des fiktiven und wohl auch der des realen Autors Glavinic, den Deutschen Buchpreis mit diesem Verwechselspiel und dem im Text ausdrücklich formulierten Wunsch und betonten Streben danach zu gewinnen, ist weder für diesen noch den echten Glavinic in Erfüllung gegangen. Glavinics Taktik ist problematisch und nahezu aussichtslos: denn keine Jury möchte sich zu einer Preisvergabe drängen lassen. Und selbst wenn die Jury ihm den Preis hätte geben wollen, hätte sie ihn ihm nicht geben können, weil die ganze Branche es so interpretiert hätte, als habe sich die Jury drängen lassen. Man vergleiche dazu die Vorwürfe gegen Kathrin Passig, ihren Gewinnertext gezielt auf die Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises hin geschrieben zu haben.

 

Bei Klaus Modick kann man am besten ablesen, wie diese widersprüchlichen Fiktionalitäts- und Faktualitätssignale die Funktion erfüllen, mit den Erwartungen und Zuschreibungen der Leser und Kritiker zu spielen. In Modicks Roman Bestseller trägt der Erzähler den Namen Lukas Domcik, ein Anagramm des Autors. Dem wenig erfolgreichen und nur noch im Rahmen der Autorenpflege geduldeten Domcik schlägt der Verleger vor, es doch mal mit dem Verfassen von Dokufiktion zu versuchen, am besten ein Thema über das Dritte Reich. Domcik, dem dieses Ansinnen eigentlich zuwider ist, erbt von seiner Tante Thea deren frühere nazistische Ergüsse. So kommt er auf die Idee, das entsprechend aufbereitete Machwerk unter dem Titel Vom Memelstrand zum Themseufer. Die Odyssee einer tapferen Frau durch tausendjährige Zeit. Roman eines Lebens seinem Verleger anzubieten. Zum Erfolg braucht es nur noch eine mediengerechte Autorin, die Domcik in der attraktiven Kellnerin Rachel Levinson findet. Selbstverständlich lässt Modick diesen Roman im Roman dann zu einem vollen Erfolg werden.

 

Modick kann so im Falle der für ihn vorteilhaftesten Lesart durch die zwei Textebenen und den Text im Text suggerieren, dass er als Autor durchaus das Zeug hätte, einen absoluten Bestseller zu schreiben, wollte er sich nur auf das dafür notwendige Niveau herablassen. Denn setzt man, wie durch die genannten Techniken beabsichtigt, Autor und Erzähler in eins, schriebe Modick lediglich deshalb keinen Erfolgstext, weil er einen zu hohen Anspruch vertrete: „Ich hatte mein Bestes getan, um das Schlechteste zu geben. Mehr war ohne Brechreiz einfach nicht drin, aber sehr viel abgeschmackter ging ja wohl auch kaum. […] Wie höchster Schmerz an die Wollust grenzt und tiefste Perversion an die mystische Energie, gewährt äußerste Banalität einen Blick aufs Erhabene.“ Im für Modick vorteilhaftesten Fall wird seiner Person so dreierlei zu Gute gehalten: erstens einen Bestseller entwerfen zu können, zweitens der Durchführung dieses Vorhabens durch den selbstauferlegten literarischen Anspruch zu widerstehen und drittens darüber hinaus durch diesen Entwurf und diese Parodie die Mechanismen des Literaturbetriebs aufgedeckt zu haben.

 

Zur der selbstironisch zur Schau gestellten Haltung: „Immerhin war ich Mitarbeiter der Unterhaltungsindustrie [...]“ wird von den genannten Autoren allerdings keine Gegenposition formuliert, von der aus eine ernsthafte und nachhaltige Kritik überhaupt möglich wäre. So bleibt die ironisch gebrochene Darstellung des Literaturbetriebs lediglich zweierlei: Stilmittel und Taktik, und zwar eine Taktik ohne übergeordnete Strategie. Dieser wird dann erst im Nachhinein auf Grund von Zuschreibungen im medialen Rahmen Sinn verliehen. So lässt sich die Taktik der Pop-Literatur in ihrer Kritik am Literaturbetrieb, dem sie selbst angehört, am besten mit dem Satz aus Stuckrad-Barres Livealbum zusammenfassen: „Vielleicht hätten wir Glück und man würde uns mindestens Selbstironie zugute halten.“

 

Literatur

  • Ernst, Thomas: Popliteratur, 2. Aufl., Hamburg 2005 [Textauszug].
  • Glavinic, Thomas: Das bin doch ich, München 2007.
  • Modick, Klaus: Bestseller, Frankfurt am Main 2006.
  • Stuckrad-Barre, Benjamin v.: Livealbum, Köln 1999.

 


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