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Hauffs Rede zur Herbstmesse 1827

von Michael Buchmann

Wilhelm Hauff
Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff, Autor weit verbreiteter Märchen wie Zwerg Nase oder Kalif Storch, wurde einem breiten Publikum durch einen Text bekannt, der heute nahezu vergessen ist. Im Jahr 1826, noch weitgehend unbeachtet, veröffentlichte er unter dem Namen H. Clauren den Unterhaltungsroman Der Mann im Mond. Hauff nutzte dieses Pseudonym deshalb, weil der seinerzeit beliebteste Unterhaltungsschriftsteller – Carl Heun – es ebenfalls nutzte. Als Redakteur, stiller Teilhaber einer Buchhandlung und Schwager von Göschen war Heun mit den Regeln des Literaturbetriebs einerseits und dem Publikumsgeschmack andererseits bestens vertraut und verstand es, seine Unterhaltungsromane auf diesen Geschmack auszurichten.

 

 

Heun mochte es nicht hinnehmen, dass Hauff sein Pseudonym und seine Bekanntheit für sich genutzt hatte und strengte einen Prozess gegen dessen Verlag an. Im Laufe dieses Gerichtsverfahrens wurde Hauff als Autor des Romans Der Mann im Mond decouvriert und damit über Nacht berühmt. Zwar sollte sein Unterhaltungsroman eigener Darstellung nach eine Parodie auf Carl Heuns Romane sein, der Text war allerdings der Aussage eines Freundes nach gar nicht als Parodie verfasst worden. Er sei erst durch das Hinzufügen einiger Abschnitte nur kurz vor der Veröffentlichung dazu gemacht worden. Wie dem auch sei – Der Mann im Monde gleicht den Texten Heuns derart, dass der Roman nicht als Parodie wahrgenommen wurde; im Gegenteil wurde er von vielen LeserInnen als einer der besten Clauren gefeiert.

 

Es verwundert also kaum, dass Hauff sich bald darauf explizit von der Unterhaltungsliteratur abgrenzen musste, um seinen Status als „ernsthafter“ Schriftsteller zu verteidigen. Und so hielt er zur Herbstmesse 1827 eine flammende Controvers-Predigt gegen Trivialliteratur im Allgemeinen und Clauren im Besonderen. Was warf Hauff der Unterhaltungsliteratur vor? Sie sei erstens auf ihre handwerkliche Verfertigbarkeit reduzierbar, was er schon allein durch seine „Parodie“ einwandfrei nachweisen konnte. Zweitens sei sie trivial und drittens zeitige deren Lektüre negative moralische Auswirkungen. Aber trifft das tatsächlich den Kern der Funktion von Unterhaltungsliteratur, die es bereits seit der Antike gibt? Sie erlebte in dieser Zeit einen neuen Aufschwung, der sich den neuen Lesern der Leserevolution des 19. Jahrhunderts verdankte. Konnte Hauff also überhaupt davon ausgehen, dass seine Rede von denjenigen wahrgenommen werden würde, die die Texte Claurens goutierten?

 

Hauff verfolgte vielmehr eine Doppelstrategie: In seiner autobiographischen Erzählung Die Bücher und die Lesewelt, die im selben Jahr erschien, in dem er auch seine Kontroverspredigt hielt, schreibt er mit doppelter Ironie: „Doch schien mir das Größte und Notwendigste für einen, der ein Buch machen will, dass er die Menschen studiere, […] um den Leuten abzusehen, was etwa am meisten Beifall finde, oft und gerne gelesen werde. Vox populi, vox dei, dachte ich, gilt auch hier. […] 'O dass ich auch einer jener Glücklichen [Autoren] wäre!' dachte ich, als jetzt die Leihbibliothek sich öffnete, und ein Gemisch von bordierten Bedientenhüten und hübschen Mädchengesichtern sich zeigte.“ Diese offensichtliche Kenntnis der Zielgruppen ist ein Beleg dafür, dass seine Rede nicht, wie behauptet, der moralischen Besserung und Abhaltung von Unterhaltungsliteratur diente. Er wusste genau, dass die LeserInnen Claurens weder vernichtende Rezensionen in Literaturjournalen noch seine Rede zur Herbstmesse auch nur wahrnehmen würden; es gibt also nur eine Erklärung für seine Rede: sie richtete sich an die LeserInnen der „anspruchsvollen“ Texte Hauffs und sollte dazu dienen, ihn in deren Augen moralisch zu legitimieren und ihn nicht als denjenigen Autoren in die Literaturgeschichte eingehen zu lassen, der mit einem Unterhatungsroman zu Ruhm und Anerkennung gelangte. Hauff zeigte sich mit seiner Rede zur Herbstmesse als brillanter Taktiker im Literaturbetrieb, der gekonnt mit den Zuschreibungen der verschiedenen Zielgruppen spielte. Er hatte anfangs durch die Bekanntheit eines Unterhaltungsschriftstellers profitiert und verstand es, sich gleichzeitig mit einem moralischen und kulturkonservativen Habitus von dem Genre der Unterhaltungsliteratur zu distanzieren.


Literatur

  • Hauff, Wilhelm: Controvers=Predigt über H. Clauren und den Mann im Monde, Stuttgart 1827.
  • Hauff, Wilhelm: Die Bücher und die Lesewelt, Sämmtliche Werke, Bd. 1, Stuttgart 1837.
  • Hauff, Wilhelm [unter dem Pseudonym H. Clauren]: Der Mann im Mond oder Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme, Stuttgart 1825 [vordatiert auf 1826].
  • Heun, Carl Gottlieb Samuel [unter dem Pseudonym H. Clauren]: Mimili. Eine Erzählung, Wien 1824.
  • Mulot, Sibylle: Die Fälschung der Fälschung. Wilhelm Hauffs „Mann im Mond“, in: Karl Corino (Hg.): Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik, Frankfurt am Main 1996.
  • Neuhaus, Stefan: Das Spiel mit dem Leser. Wilhelm Hauff: Werk und Wirkung, Göttingen 2002.
  • Niehaus, Michael: Autoren unter sich. Walter Scott, Willibald Alexis, Wilhelm Hauff und andere in einer literarischen Affäre, Heidelberg 2002.
  • Schütz, Erhard: Die Parabel vom angenehmen Mann. Hauffs Clauren und die Strategie des Namens, in: Ernst Osterkamp/Andrea Polaschegg/Erhard Schütz (Hg.): Wilhelm Hauff oder Die Virtuosität der Einbildungskraft, Göttingen 2005, S. 115-133.

 


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