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Wie schreiben? Zwischen creative writing und Literaturwissenschaft

von Michael Buchmann

Sol Steins Klassiker des creative writing ist erstmals in einer Taschenbuchausgabe bei Zweitausendeins zu haben. Er führt den stolzen Titel „Über das Schreiben“ und vertritt diesen Anspruch konsequent. Zu Recht?

 

Die implizite Poetologie Diesen Text Sol Steins versteht man tatsächlich nur dann zu würdigen, wenn man ihn auf seinen poetologischen Rahmen bezieht. Der Autor selbst legt dies wohlweislich nicht nahe, denn sonst könnte er nicht den Anschein erwecken, ein Buch über „das“ Schreiben, sondern womöglich „nur“ ein Buch über das Schreiben von Unterhaltungsliteratur verfasst zu haben. Seine Vorstellungen eines gelungenen Textes gründen zunächst auf zwei poetologischen Dogmen: ein Text muss Spannung wecken und den Spannungsbogen konstant hoch halten und er muss eine möglichst weitgehende Identifikation mit der „Hauptfigur“ hervorrufen. Den Autoren erteilt er folgenden Rat: „Wenn Ihr Protagonist nicht mit aller Kraft nach einem Ziel strebt, fällt es den Lesern schwer, ihm von ganzen [!] Herzen zu wünschen, daß er es erreicht; aber genau das ist es, was die Leser antreibt, die Lektüre fortzusetzen. Je stärker die Sehnsucht, um so größer das Interesse des Lesers.“

 

Sowohl Spannung als auch Identifikation sind gerade Kriterien für erfolgreiche Unterhaltungsliteratur. Insofern drückt sich für Stein folgerichtig die Güte eines Textes in dessen Rang auf den Bestsellerlisten aus. Sein Bewundern über von ihm selbst lektorierte Texte bringt er so zum Ausdruck: „Einem Autor, dessen Werk ich lektoriert habe, gelang es, eine Figur durch ihren Gang so überzeugend zu charakterisieren, daß sie ohne Umschweife in die Bestsellerlisten marschierte.“

 

Dies ist – um allen möglichen Missverständnissen vorzubeugen – keineswegs ehrenrührig. Dies wird es allerdings in dem Moment, in dem er selbst versucht Prestige für seine eigenen und die von ihm lektorierten Texte daraus zu ziehen, dass er sich verdächtig demonstrativ gegen die sogenannte „Trivialliteratur“ abgrenzt. Wenn Sol Stein beispielsweise davon spricht, dass die Figuren der „Trivialliteratur“ „flach und klischeehaft gezeichnet“ seien, misst er sie dabei an seiner oben dargestellten impliziten Poetologie einer unreflektierten und rein affirmativen Identifikation der Rezipienten mit den Protagonisten. Und es ist doch gerade diese unhinterfragte und ungebrochene Identifikation, von der Sol Stein selbst ausgeht, die ein konstitutives Merkmal der „Trivialliteratur“ bildet.

 

Dasjenige, was Sol Stein als vorgeblichen Unterschied zwischen „gehobener Literatur“ und „Trivialliteratur“ darstellt, ist tatsächlich der Unterschied zwischen technisch gut verfertigter und technisch schlecht verfertigter Unterhaltungsliteratur. Augenfällig wird dies in folgendem Abschnitt: „Dem Leser fällt es leichter, sich mit einem Wunsch zu identifizieren, den viele haben und der nicht allzu ausgefallen ist […]. Eine Liebe zu erobern oder zu verlieren, ein lebenslang erstrebtes Ziel zu verwirklichen, die Gerechtigkeit siegen zu sehen, ein Leben zu retten, Vergeltung zu üben […] – das sind die Wünsche und Sehnsüchte, für die sich die Mehrzahl der Leser interessiert. In der sogeannten Trivialliteratur […] treten [die Ereignisse] unvermittelt ein.“

 

Am Beispiel des empfohlenen Umgangs mit der Spannung, dem zweiten Dogma seiner Poetologie, decouvriert er seine Position selbst: „Idealerweise sollten die Kapitel so enden wie früher die Wochenserien im Kino: Die Helden befinden sich in einer schwierigen Situation, die einer Lösung harrt. Wenn Sie diese Serien nicht kennen, nehmen Sie sich die Seifenopern im Fernsehen zum Vorbild, in denen die Episoden stets so enden, daß die Zuschauer unbedingt sehen wollen, was als nächstes passiert.“

 

Die gut verfertigte Unterhaltungsliteratur versteht es gegenüber der schlecht verfertigten, die technischen Kunstgriffe möglichst gut als solche zu verschleiern: „Denken Sie aber daran: Manche Hindernisse [für die Protagonisten, um die Spannung zu steigern] müssen von langer Hand vorbereitet werden, damit sie nicht wie ein willkürlicher Kunstgriff des Autors wirken.“ Sol Stein kann man hier durchaus, wenn man ihn gegen seine eigene Intention als Lehrer zum Verfertigen von reiner Unterhaltungsliteratur versteht, durchaus zustimmen. Je „realistischer“ der Handlungsverlauf und die Figuren wirken, umso größer die Wahrscheinlichkeit der Identifikation. Und genau hier kann man das dritte Dogma seiner Poetologie der Unterhaltungsliteratur ablesen: Literatur muss so „realistisch“ wie möglich sein, wobei Stein hier von einem unreflektierten um nicht zu sagen naiven Verständnis von „Realismus“ ausgeht.

 

Die Schreib-, Erzähltechniken und das Sachbuch Es ist ein Verdienst Sol Steins, das Problem des erzählenden faktualen Textes angesprochen zu haben, auch wenn die Art und Weise wie er dies tut, verkürzend und irreführend ist. Gemäß seiner Dogmen fordert er „Realismus“ und Identifikation, woraus in folgendem Beispiel eine „lebendige Gestaltung“ eines historischen Ereignisses resultieren soll: „Warum soll der Autor eines Sachbuchs Szenen nicht ebenso lebendig gestalten können wie der Romanschreiber? […] Erfindet er etwas hinzu? Der Text selbst – nicht nur das Ansehen, das Mattingly als Historiker genießt – überzeugt uns davon, daß der Autor jeden zeitgenössischen Bericht und jedes Gemälde, in denen die Geschehnisse belegt sind, ausgeschlachtet hat, um diese Szene entstehen zu lassen.“ Sol Steins Rückgriff auf das Argument aus der Autorität bzw. den Fleiß eines sachbuchschreibenden Historikers wird der Komplexität des Problems nicht gerecht, ganz abgesehen davon, dass die Auswertung fiktionaler wenn auch zeitgenössischer Gemälde keine historische Wahrheit verbürgen kann. Der Hinweis auf den fehlgeleiteten Fleiß des Historikers und der Hinweis auf den Bezug auf unkritische historische Quellen verneint auch nicht die rhetorische Frage. Dem von Stein zitierten Text kann man auch sofort entnehmen, dass seine „Lebendigkeit“ sich gerade solchen Einzelheiten verdankt, die unmöglich historisch verbürgt sein können: „Einen Augenblick lang hielt sie alle Blicke gefangen, dann sank sie in die Düsternis ihres Sessels zurück und wandte ihre ernste Unaufmerksamkeit den Richtern zu. Es war ihr nicht unangenehm, daß die Versammlung für niemanden sonst ein Auge hatte.“

 

Eine „ernste Unaufmerksamkeit“ kann historisch nicht verbürgt sein. Ein Sachbuch, dass sich derart weit von seiner faktualen Referenz entfernt, hat die Grenzen zum historischen Roman bereits überschritten. Aber unabhängig von diesem durch Stein schlecht gewählten Beispiel bleibt die Frage offen, wie die Möglichkeit erklärt werden kann, dass historische Fakten auf völlig unterschiedliche Weise vermittelt werden können, ohne etwas dazuerfinden zu müssen. Dazu das nächste Zitat.

 

„Die folgende Geschichte einer wahren Begebenheit zeigt, wie in einem nichtfiktionalen Text die Spannung durch eine gleichbleibende Erzählperspektive aufrechterhalten wird, […]“. Hier streift Stein beiläufig den eigentlichen Kern der Sache/des Sachbuchs: zunächst muss man wieder einmal die Differenzierung eines nichtfiktionalen Textes in Sach- und Fachbuch vornehmen, die bekanntermaßen in Amerika so nicht üblich ist. Das akademische Fachbuch kennt keinen Erzähler, denn hier greift das Axiom von Grice: der Autor muss als Person überzeugt von dem sein, was er schreibt und behauptet. Dafür steht er auch mit seiner Reputation voll ein. Das Sachbuch kennt dagegen sehr wohl eine erzählende Instanz, kann sogar durch diesen Doppelcharakter zwischen seinem referentiellen Bezug auf Faktisches und seiner Methodik als erzählend beschrieben werden. Inwieweit der Bezug auf das Faktische tatsächlich und belegbar oder nur fingierend und insofern sich dem historischen Roman annähernd ausfällt, ist dann eine Frage der Diskursethik.

 

Der Text Sol Steins und dessen eigene Techniken „Ein Text erfüllt seine Aufgabe besser, wenn er beim Leser Gefühle hervorruft, das gilt für den nichtfiktionalen Bereich ebenso wie für den fiktionalen. Auch wenn wir es vielleicht lieber hätten, wenn alle Menschen dieser Welt vernunftbestimmt wären, bleibt die Tatsache bestehen, daß uns das, was wir fühlen, stärker bewegt als das, was wir verstehen. Die großen Redner und Verfasser theoretischer Abhandlungen haben das schon immer gewußt.“ Man beobachte das Argument aus der Autorität am Ende des Zitats. Stein wendet hier in ironischer Weise genau das an, wovon er spricht: statt sich wenigstens auf eine konkrete Autorität zu berufen, spricht er vage von „großen“ Rednern und Theoretikern und spricht damit eben nicht den Intellekt der Leser an, wie er es suggerieren möchte, sondern gerade das Gefühl, in diesem Falle zynischerweise das Gefühl, sich intellektuell fühlen zu wollen.

 

Nichts ist naheliegender, als zu analysieren, wie Sol Stein seine Ratschläge in seinem eigenen Buch seinen eigenen Lesern gegenüber weiterhin umsetzt. Welcher Techniken also bedient er sich außer des Arguments aus der Autorität? Der Schmeichelei und des Selbstlobs.

 

Zu Beginn des elften Kapitels über „Das Geheimnis [!] des gelungenen Dialogs“ – man beachte das Wort Geheimnis – zieht Stein alle Register und verbindet die Schmeichelei gegenüber potentiellen Autoren mit einer schmeichelhaften Selbstdarstellung: „Wenn Sie dieses Kapitel zu Ende gelesen haben, sind Sie mit den Geheimnissen des Dialogs vermutlich besser vertraut als die Mehrzahl der Autoren, deren Werke veröffentlicht wurden.“ Und weiter: „Im Herbst 1989 hielt ich auf Einladung der University of California in Irvine hin ein dreimonatiges Seminar […] daß meine Studenten, von denen einige bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht hatten, sich aber desungeachtet noch als Lernende empfanden, den Kurs unbedingt weiterführen wollten. Sie kamen einmal wöchentlich zusammen und bedrängten mich, zurückzukommen. […] viele dieser Autoren besuchen meine Seminare immer noch, um sich in der Kunst des Dialogentwurfs und in anderen Techniken des literarischen Schaffens zu vervollkommnen. [!]“

 

Stein versucht zuerst, den Ehrgeiz der potentiellen Autoren anzustacheln und suggeriert dann, er könne zu einer Vervollkommnung der Dialoggestaltung verhelfen. Man kann nur hoffen, dass die potentiellen Autoren auch hinreichend kritische Leser sind.

 

Vom Nutzen des Buches Die Stärke des Buches liegt zweifellos darin, dass es zeigt, wie man seinen Text den Anforderungen des amerikanischen Bestsellermarktes und seiner Zielgruppe anpasst – kurz: wie man technisch gute Unterhaltungsliteratur schreibt, auch wenn dies eine Lesart ist, der Sol Stein wohl schwerlich zustimmen würde.

Wer dieses Buch gewogen und als zu leicht befunden hat, dem sei ein weiteres empfohlen, das nach wie vor zum Besten der Gattung gehört, obwohl es sich selbst vielleicht gar nicht als Schreibschule im engeren Sinne versteht: die „Einübung in die Literaturwissenschaft“ von Fricke und Zymner. Hier kann man durch Parodie und Nachdichten nicht nur die jeweiligen Eigenheiten bestimmter Gattungen, Epochen usw. kennen lernen, sondern auch, welche konkreten sprachlichen Techniken dem zu Grunde liegen. Dieses Buch ist der missing link zwischen creative writing und Literaturwissenschaft. Während Sol Stein den Autoren sagt: „Macht es so und so!“, zeigen Fricke und Zymner die vielfältigen Möglichkeiten auf und sagen: „Hier habt ihr diese und jene Techniken, die schon hier und dort verwendet wurden, und die ihr je nach euren Intentionen auswählen könnt.“

 


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