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Das Spiel um den "lôn"

von Michael Buchmann

Walther von der Vogelweide
Walther von der Vogelweide

Walther von der Vogelweide ist sicher der bekannteste mittelalterliche Lyriker. Und auch wenn seine Texte vermeintlich viel über das Leben ihres Autors erzählen, gibt es unabhängig davon fast keine gesicherten Erkenntnisse über ihn. Nur ein einziger Beleg gilt als authentisches Zeugnis: eine Notiz vom 12.11.1203 über ein Honorar von fünf Goldtalern, angewiesen durch den Bischof von Passau für Walther von der Vogelweide, damit dieser sich vom Lohn einen teuren Mantel kaufen konnte. Das war für diesen Zweck keine geringe Summe, auch wenn er in derselben Lohnliste geführt wurde wie ein Narr und ein Falkner und zudem das Datum, ein Tag nach St. Martin, darauf hindeutet, dass er darauf angewiesen war. Diese ständige Sorge um die Meinung der Zuhörer im Allgemeinen und tatsächlichen oder potentiellen Geldgeber im Besonderen ist kaum verwunderlich, ebenso wenig wie das Ausmaß, dass das Spiel um „lôn“ in den Texten Walthers von der Vogelweide einnimmt. Insbesondere in Zeiten des Mäzenatentums kann der Inhalt von Literatur nur selten Selbstzweck sein, sondern ist immer auch bestimmt durch die Wünsche des Geldgebers und durch die Sorge, den Geldgeber auch weiterhin zum Geldgeben zu bewegen. Und während bei Minnesängern der Lohn als Gunstbezeugung zu verstehen ist, verstand Walther ihn durchaus auch im monetären Sinne, d. h. er erwartete nicht nur symbolisches und kulturelles, sondern auch ökonomisches Kapital für seine Dienste.


Für diese taktischen Spiele konnte Walther auf ein Arsenal von literarischen Figuren und Topoi rund um den „lôn“ eines Sängers zurück greifen, die er dann aber für seine eigene Situation und seine eigenen Bedürfnisse entsprechend abwandelte und die taktischen Mittel der Minnelyrik auf sein Gebaren gegenüber Gönnern seiner Dichtung übertrug, nämlich den Frauenpreis und die Frauenschelte. So schreibt er an eine Dame: „Du solltest einen Satz unterdrücken, Herrin, das steht Deiner höfischen Erziehung wohl an. Sprächest Du das aus – ich würde es übel finden – […] >Hätte er Erfolg, ich täte ihm Gutes<.“ Durch diese Drohung vermeidet er, dass er zunächst in Vorleistung treten muss, insofern er erst die Wirkung seiner Dichtung auf die Gesellschaft unter Beweis stellen muss. Von einem erfolgsabhängigen Honorar möchte er also nichts wissen. Andererseits versucht er, gerade diese gesellschaftliche Wirkung – in diesem Fall die schädliche – seiner Dichtung herauszustellen, wenn es darum geht, Anerkennung einzufordern: „Mich will eine Frau nicht beachten, die ich zu Ansehen gebracht habe, so daß ihr Sinn so hochgestimmt ist. […] Ja, Herr, was sie für Flüche auf sich ziehen wird, wenn ich meinen Sang einstelle!“ Dabei nahm er so oft die Rollen des Mäzenenpreises und der Mäzenenschelte, bis ihm nach seinen eigenen Worten der„Atem stank“.

Neu sind seit Walther offene Drohungen und Beleidigungen. Diese Drohung machte Walther von der Vogelweide gegenüber Otto IV. wahr, weil er angeblich seinen erhofften Lohn nicht erhielt. Seine Texte wurden so zum Mittel im Kampf um eine bessere Position im Literaturbetrieb: „Ich habe Herrn Ottos Versprechen, er wolle mich noch reich machen. Wieso nahm er aber jemals meinen Dienst so betrügerisch an? […] Ihr seid der schlechteste Mann, denn einen so recht schlechten Herrn hatte ich noch nie.“ Danach greift er ihn als Person frontal an: „Ich wollte Herrn Ottos Freigebigkeit an der Körperlänge messen, da hatte ich mich mit dem Maß beträchtlich vergriffen: wäre er so freigebig wie lang, er hätte viele gute Eigenschaften besessen.“ Und auch wenn die von Thomasin von Zerclære genannte Zahl von Hundertausend, die Walther von der Vogelweide beeinflusst haben soll, sicher übertrieben ist, hatte er doch einen gewissen Einfluss auf die Meinungsbildung an den jeweiligen Höfen. Dabei war ihm durchaus bewusst, dass er nicht nur auf ökonomische Anerkennung setzen konnte, sondern dass es einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und Entlohnung gab. Deshalb setzte er sich auch vehement für die Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen ein: „Der Meißner sollte mich entschädigen, ob er will oder nicht. Meinen Dienst lasse ich ganz fahren, aber nicht meine Anerkennung! Daß ihn mein Lob etwa hochhalte, das kann ich sehr wohl verhüten. Lobe ich ihn, so belobe er mich, alles andere, das will ich ihm großmütig erlassen. Sein Lob, das muß auch mir angemessen sein, andernfalls will ich das meine wieder zurücknehmen – am Hof und auf der Straße, denn ich warte nun lange genug auf sein angemessenes Verhalten.“

Es gibt zwar keinen Hinweis darauf, ob Walther von der Vogelweide tatsächlich noch seinen materiellen Lohn in Form eines Lehens erhielt; seiner Spruchdichtung nach soll es so gewesen sein: „Ich habe mein Lehen, alle Welt, ich habe mein Lehen! Nun fürchte ich den Hornung nicht mehr an den Zehen und will alle schlechten Herren um so weniger anflehen. […] Meinen Nachbarn erscheine ich nun weitaus besser ausgestattet, sie sehen mich nicht mehr an wie ein Schreckgespenst, wie sie es früher taten.“ Für das Verständnis ist es dabei kaum von Nachteil, dass man nicht zuzuordnen vermag, inwieweit die Vorfälle den realen Autor Walther von der Vogelweide betreffen. Wichtig ist, dass seine Texte eine genau beabsichtigte Wirkung im damaligen Kommunikationszusammenhang entfalten sollten und dass man beim Vorgehen des Autors dasselbe Muster im Kampf um den Minnelohn wie im Kampf um den monetären Lohn findet. So kann man das dichterische Handeln Walthers von der Vogelweide zu einer einfachen Maxime verdichten, die er selbst folgendermaßen formuliert hat: „Ich habe Dir so gedient, Welt, daß ich mich dessen nicht schäme. So wie Du mich durch Lohn froh machst, so geschieht es Dir vielleicht gleichermaßen. Ich wünschte auch eine ganze Kleinigkeit: […] Angenehmes für Angenehmes, das allein.“


Literatur

  • Brinker-von der Heide, Claudia: Die literarische Welt des Mittelalters, Darmstadt 2007.
  • Bumke, Joachim: Der Literaturbetrieb der höfischen Zeit, in: Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 1986, S. 595-783.
  • Gilgen, Peter: Der Sänger seiner selbst, in: David E. Wellbery (Hg.): Eine Neue Geschichte der deutschen Literatur, Berlin 2007, S. 159-165.
  • Griep, Hans-Joachim: Das Mittelalter, in: Hans-Joachim Griep: Geschichte des Lesens. Von den Anfängen bis Gutenberg, Darmstadt 2005, S. 184-210.
  • Hamesse, Jacqueline: Das scholastische Modell der Lektüre, in: Roger Chartier/Guglielmo Cavallo (Hg.): Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm, Frankfurt am Main/New York 1999, S. 157-180.
  • Parkes, Malcolm: Klösterliche Lektürepraktiken im Hochmittelalter, in: Roger Chartier/Guglielmo Cavallo (Hg.): Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm, Frankfurt am Main/New York 1999, S. 137-153.
  • Saenger, Paul: Lesen im Spätmittelalter, in: Roger Chartier/Guglielmo Cavallo (Hg.): Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm, Frankfurt am Main/New York 1999, S. 183-217.
  • Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche, 14., völlig neu bearb. Aufl. d. Ausg. Karl Lachmanns, Berlin 1996.

 


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