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Unterschrift John Searles – oder zeichnet hier »Sarl«, wie Jacques Derrdia behauptet? By Luizpuodzius via Wikimedia Commons
Unterschrift John Searles – oder zeichnet hier »Sarl«, wie Jacques Derrdia behauptet? By Luizpuodzius via Wikimedia Commons

Unüberbrückbare Differenzen?
Zur linguistisch-philosophischen Debatte einer Theorie der Fiktion zwischen John Searle und Jacques Derrida. Teil I

 

von Florian Grundei

 

Im Folgenden soll es um die Debatte innerhalb des Problemdiskurses zur Fiktionalitätstheorie gehen, die Jacques Derrida und John Searle geführt haben. Die Arbeitsgrundlagen stellen hierbei Searles Text »The Logical Status of Fictional Discourse«[1] sowie die Antwort auf denselben in »Signature Event Context«[2] durch Derrida. Auf »Signature Event Context« wiederum hat Searle mit dem Text »Reiterating the Differences: A Reply to Derrida«[3] reagiert; den wiederum Derrida zum Anlass einer Duplik in »Limited Inc. abc ....«[4] nimmt. Zunächst ist festzuhalten, dass beide Debattenteilnehmer – sowohl John Searle, als auch Jacques Derrida – Repräsentanten bestimmter Schulen sind, beide befinden sich, um es mit Thomas S. Kuhn zu beschreiben, in unterschiedlichen wissenschaftlichen Paradigmen. John Searle ist Schüler des Begründers der Sprechakttheorie John L. Austin und stellt sich und seine Schriften explizit in die Traditionslinie seines Lehrmeisters und Mentors. Der Poststrukturalist Jacques Derrida »dekonstruiert« innerhalb seiner Texte den von ihm in der abendländischen Philosophie festgestellten »Phono-Logozentrismus«[5], und konstatiert, dass das neuzeitliche Denken des Okzidents letztendlich auf diesem fuße. Alles scheint, so Derrida, in der okzidentalen Philosophie logozentrisch auf ein abstraktes Zentrum zuzulaufen, diese »ontologischen Gerüste«[6], wie Jürgen Habermas schreibt, schickt sich Derrida an »abzuräumen«[7]. Die Sprache dient dabei laut Derrida dem »Verdrängen« und dem »Erniedrigen« der Schrift.[8] Derridas Theorie eines »Phono-Logozentrismus« konstatiert eine Determinierung der mentalen Voraussetzungen des Denkens; sein Gegenentwurf versucht daher den Raum diskursiv zu weiten; er greift folglich innerhalb seiner Schriften Vertreter von Schulen an, die diesen »Phono-Logozentrismus«[9] in seinen Augen verteidigen. Der Angriff Derridas auf Searle kann hierfür als Beispiel gewertet werden.

Die Debatte zwischen den beiden wird breiter geführt als es der hier von mir vorgenommene Fokus auf der Fiktionalitätstheorie suggeriert; ich möchte daher auf ihre wesentlichen Punkte eingehen, da diese notwendig zur Beschreibung der Differenzen sind, die auch innerhalb der Fiktionalitätsdebatte zutage treten, ehe schließlich die Fiktionalitätsdebatte selbst näher betrachtet wird.


 

Wesentliche Problemfelder der Debatte

Rekurs auf Austin


John L. Austin legte mit seinen 1955 in Harvard gehaltenen Vorlesungen, die sich im Band »How to do things with words« versammelt finden, den Grundstein für die Sprechakttheorie.[10] Als Sprechakte versteht Austin sprachliche Handlungen, die sich auf bestimmten Ebenen vollziehen und ein bestimmtes kommunikatives Ziel verfolgen. Die sogenannte »Lokution«, womit Austin den Äußerungsakt an sich definiert, gliedert sich in bestimmte Teilakte auf: Den »phatischen« Teilakt (bestehend aus den syntaktischen und lexikalischen Regeln, die eingehalten werden), den »phonetischen« Teilakt (bestehend aus den physisch produzierten Phonen) und den »rhetischen« Teilakt (bestehend aus dem semantischen Gehalt und der Kohärenz des Gesagten).[11] Nach der Definition der Lokution vollzieht Austin nun den Schritt, dieses Konzept anzuwenden auf die Ebene der tatsächlichen (Sprech-)Handlung. Aus dem Akt der Äußerung, also daß man etwas sagt (Lokution), abstrahiert Austin nun den Akt, der entsteht, indem man etwas sagt (Illokution).[12] Mit dem Vollzug des lokutionären Aktes wird also laut Austin gleichzeitig der von ihm als »illokutionärer Akt« bezeichnete konventionelle Sprechakt vollzogen. Hierbei spielen auch die sozialen Strukturen, innerhalb derer der Sprechakt vollzogen wird eine Rolle:

So werden wir im Vollzug eines lokutionären Aktes auch einen Akt vollziehen wie etwa: eine Frage stellen oder beantworten; informieren, eine Versicherung abgeben, warnen; eine Entscheidung verkünden, eine Absicht erklären; ein Urteil fällen; berufen, appellieren, beurteilen; identifizieren oder beschreiben; und zahlreiche derartige Dinge.[13] 

 

In einem dritten Schritt der Abstrahierung definiert Austin nun den »perlokutionären Akt«, welcher »gewisse Wirkungen auf die Gefühle, Gedanken oder Handlungen des oder der Hörer, des Sprechers oder anderer Personen«[14] einbezieht, die durch das Gesagte hervorgerufen wurden. Mit dem »perlokutionären Akt« wäre der Kreis innerhalb des Sprecher-Hörer-Organigramms geschlossen, der Äußerungsakt wird nun innerhalb der letzten Ebene auf seine Wirkung hin interpretiert.

In John Searles Weiterentwicklung der Austin’schen Theorie der Sprechakte werden der illokutionäre und der perlokutionäre Akt übernommen, Searle abstrahiert jedoch innerhalb Austins Basis – der Lokution – in einen »Äußerungsakt«, bestehend aus Morphemen und Sätzen und einen »propositionalen Akt«, bestehend aus Referenz (Verweis auf ein Objekt) und Prädikation (dem Objekt werden Eigenschaften zugeschrieben).[15] Derridas Kritik, zu der ich später kommen werde, stützt sich insbesondere auf das Argument, dass eine Referenz nicht existiere.

In der Sprechakttheorie wird der Sprechakt einer sozialen Interpretation unterzogen, in der er entweder für wahr oder für unwahr gehalten werden kann, da Äußerungsakte »ernst« oder »unernst« verwendet werden können; diesen letzten Fall bezeichnet Austin – aufgrund der Imitation eines Sprechaktes mit jenen Mitteln, mit denen sich auch ein seriöser Sprechakt vollzieht – als »parasitär«.[16] Im Folgenden wird sich zeigen, dass Searle diesen Begriff auf die Fiktionstheorie anwendet und Derrida hierbei einen zentralen Kritikpunkt konstatiert.

In seiner Interpretation der Texte Austins – konzentriert auf »How to do things with words« – konstatiert Derrida eine oppositionelle Haltung Austins gegenüber der Schriftlichkeit und dem Umgang mit fiktionalen Diskursen; er wirft Austin ein Argumentieren mit »metaphysischen Präsuppositionen«[17] vor, behauptet, dass Austins Grundannahmen letztlich psychologisch motiviert seien und auf hypothetischen Annahmen über die Beschaffenheit von Kommunikation beruhen. Diese Kritik überträgt er auch auf die Texte Searles.[18] Für Austin agieren fiktionale Diskurse, wie oben ausgeführt, »parasitär«, sie übernehmen dieselben Strukturen wie faktuale Diskurse, funktionieren analog zu ihnen. Searle übernimmt diesen Ansatz Austins in seinem Text »The Logical Status of Fictional Discourse«.[19]

 

Schrift- und Zeichentheorie, Referentialität, Intention, Theorie des Zitierens, Iterabilität des Zeichens


Für Derrida besteht die Entität der Welt – hier ist auch die Welt der gesprochenen Äußerung gemeint – aus »fremden Zeichen«[20], die zur Schrift geworden, sich in der Situation der Gegenwärtigkeit zu einem ephemen Körper formen und eine abstrakte Art der Markierung durch ihre Präsenz hinterlassen.[21] Bei Searle vollziehen sich in der Sprache Sprechakte[22] mit einem bestimmten Sinn, einer bestimmten Intention folgend, aufgrund des Willens zur kommunikativen Handlung. Sie sind Teil einer Sprache, die wiederum eine »regelgeleitete Form intentionalen Verhaltens«[23] ist. Diese ist für Searle sozial konstituierend, jede unserer sozialen Vorgehensweisen vollziehen wir – Searle zufolge – in kommunikativen Handlungen, sie zielen bei Searle immer auf einen bestimmten Punkt hin.[24] Intentionen, so analysiert es Manfred Frank, werden in der Sprechakttheorie nach »dauerhaften und allgemeinverbindlichen Regeln (...) schematisiert«[25]; diese Schematisierung vollziehe sich aufgrund der »Wiedererkennbarkeit«[26] von Äußerungsakten, die schließlich die Grundlage für unsere Kommunikation bilde. Für Derrida existiert eine Intention auf einer Metaebene, innerhalb einer »differentiellen Typologie von Iterationsformen«[27], die Intention ist also Teil eines komplexen Apparates mentaler Konstituenten; die Texte und Worte sind – im Denken Derridas – frei, dezentral organisiert, fragmentarisiert und urheberrechtlich ungeschützt. Die Zeichen bilden das Inventar des Diskursraumes und schließlich den Diskurs selbst. Derrida vollzieht anhand seines gegen Searle gerichteten Textes eine Dekonstruktion dessen Annahmen durch dieselben.

Derrida behauptet beispielsweise kühn, dass es sich beim vorliegenden Text Searles – dies begründet er mit den bei den Danksagungen des Autors genannten Namen – nicht um einen Produzenten von Texten handelt, sondern um eine Vielzahl derselben, um ein Kooperationsprojekt, welches aus dem vorhandenen Diskurs von Zeichen hervorgebracht wurde und für die schließlich der Mensch, der bürgerlich John Searle heißt – im Grunde illegitim, so der Vorwurf Derridas – gezeichnet habe.[28] Er nennt diese Autorenkooperation »Sarl«, was zum einen dechiffriert »Societé à responsibilité limitée« [also übersetzt im Ungefähren: Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Anm.d.A.] bedeutet, zum anderen aufgrund der deutlichen Namensähnlichkeit eine komödiantisch-hämische Einlage vonseiten Derridas darstellt.[29] Dirk Werle wertet dies in einem Essay meiner Meinung nach zurecht als einen Angriff »ad hominem«.[30] »Sarl« wird innerhalb des Textes »Limited inc abc ....« »Sec« gegenübergestellt, dechiffriert ist »Sec« der erste Text Derridas innerhalb der Debatte: »Signature Event Context«.[31] Derrida vollzieht hier eine Wende innerhalb des Verständnisses über die Verantwortbarkeit für Texte; er schneidet das Zeichen unmittelbar nach dessen Produktion aus seiner sozialen Sphäre aus. Derrida geht so weit zu behaupten, dass dieses Verfahren bei jedem Verfertigen von Texten vollzogen wird: Er schafft so eine Wendung hin zu einer nicht-referentiellen Distanz. Nicht-referentiell sowohl im Produktions- als auch im Rezeptionskontext.[32] Er benennt diese Situation mit dem Begriff »différance«.[33]

Die angesprochene (Nicht-)Referentialität von Sprache und Sprechakten existiert jedoch bei Searle. Bei ihm besteht jeder Sprechakt aus einem Agens und einem Referenten, bei Derrida gibt es lediglich Zeichen, die ›zeitlos zu uns sprechen‹. Auf einer kommunikativen Oberfläche erscheinen diese Zeichen schließlich auch bei Derrida. Searle und Austin organisieren ihre Theorie des Sprechaktes – um in Derridas Terminologie zu sprechen – logozentrisch, also sprachlich-sinnhaft dezidiert gerichtet auf jemanden; sie sind referentiell durch das Sender-Empfänger-Organigramm strukturiert. Bei Derrida existiert keine derartig strukturierte Referenz, weder auf der Produktionsseite, noch auf einer möglichen Empfängerseite.

Implizit geht es innerhalb der Debatte zwischen Searle und Derrida auch um eine Theorie des Zitierens. Von dem Standpunkt des Urheberrechts könnte man analysieren, dass hierbei Searle vonseiten Derridas übel mitgespielt wird: Sein bürgerlicher Name wird verwendet, um aus diesem ein Chiffre zu formulieren, wie oben aufgezeigt wurde. Doch dieser Vorgang ist innerhalb der dekonstruktivistischen Methode plausibel, da Derrida davon ausgeht, dass ein Text immer mithilfe einer Kooperation entsteht, dass Ideen, Bilder, Zeichen und Begriffe keiner Verwendungseinschränkung unterliegen und dass aufgrunddessen auch Searle im Grunde keinen Anspruch hat, mit seinem bürgerlichen Namen für den – zweifellos physisch von ihm verfassten –Text zu zeichnen.

Im Punkte der Iterierbarkeit der sprachlichen Mittel herrscht – zumindest hier ist dies der Fall – Einigkeit zwischen Searle und Derrida. Beide sind überzeugt, dass diese in beliebiger Weise wiederholt werden können, Searle sieht in der Iterierbarkeit der sprachlichen Mittel sogar einen wesentlichen Grundbaustein unserer Kommunikation, scheint jedoch irritiert darüber zu sein, weshalb dies für Derrida erst festgestellt werden müsse:


»(...) [W]ithout iterability there is no language at all. Every utterance in a natural language, parasitic or not, is an instance of iterability, which is simply another way of saying that the type-token distinction applies to the elements of language.«[34]

 

Derrida sieht sich nicht veranlasst, zwischen normalen und nicht-normalen Äußerungssituationen zu unterscheiden, diese rekurrieren für ihn auf denselben Fundus an Zeichen, es bedarf also aufgrunddessen nicht der von Searle und Austin vorgenommen Trennung zwischen Gebrauch und Erwähnung.[35] Dieser jedoch wird innerhalb der Sprechakttheorie vollzogen, weil aus sprechakttheoretischer Sicht sprachliche Äußerungen immer mit einer bestimmten kontextuellen und referentiellen Äußerungssituation verbunden sind.

 

Zur Theorie der Fiktion


Diese kontextuelle Äußerungssituation kann sowohl faktualer, als auch fiktionaler Natur sein: Wie oben bereits erwähnt besteht ein wesentliches Problem in der Auseinandersetzung zwischen Searle und Derrida innerhalb der Fiktionstheorie. Für Searle ist es offensichtlich, dass in fiktionalen Schriften exakt dieselben Sprechakte vollzogen werden, wie in Sprechakten, die einen realen, faktualen Bezug vorweisen.[36]

In seinen Vorlesungen verfolgt Austin den Ansatz, dass Fiktion im Grunde nichts Anderes sei als das Vollziehen von Sprechakten mit unernsten Motiven. Es wird von Austin klar zwischen ernsten und unernst gemeinten sprachlichen Äußerungsakten unterschieden, hierbei nun verwendet er den Begriff »parasitär«, an dem sich Derridas Kritik anlehnt:

Es gibt die Auszehrung der Sprache, parasitären Gebrauch unterschiedlicher Art usw.; man kann sie in unterschiedlicher Weise »nicht ernsthaft« oder »nicht ganz normal« gebrauchen. Wovon die Rede ist, liegt gewöhnlich auf Grund bestimmter Regeln fest; sie können außer Kraft gesetzt werden. Es kann sein, daß der Sprecher nicht versucht, einen standardisierten perlokutionären Akt zustande zu bringen, etwa nicht versucht, jemanden zu etwas zu bringen. (Goethe will ja auch nicht ernsthaft den Zephir dazu bringen, das luftig Band auf seine Flügel zu nehmen.)[37]

 

Austins Fiktionsbegriff fußt folglich auf der Annahme, dass fiktionale Diskurse lediglich Imitationen, also, um die Terminologie weiterer linguistischer Diskurse zu wählen, »als-ob-Situationen«[38] faktualer Diskurse seien:


»In as-if situations, as in the case of irony, the use of rules is affected, not the rules themselves. (...) [I]n as-if situations there is in principle no fixed relationship between what is said and what is shared to be true.«[39]

 

Searle spricht bei fiktionalen Schriften ebenso wie Austin von imitierenden, »parasitären« Sprechakten.[40] Für Searle ist es zudem offensichtlich, dass auch fiktionale Schriften einen bestimmten, allerdings imaginierten, also fiktionalen kontextuellen Rahmen haben und eine Referenz vorweisen können, solange sie bestimmten Regeln folgen, die auch für faktuale Äußerungssituationen gelten. Searle definiert als diesen Regelbestand den Wahrheitsgehalt der Äußerung, die durch eine Proposition geäußert wird, vorgelegte Belege dieser Wahrheit durch den Sprechenden, das für Sprecher und Hörer nicht-offensichtliche Wahrsein der Äußerung in ihrem Kontext sowie die »Ernsthaftigkeitsregel« (sincerity rule), bei der sich der Sprecher auf die Überzeugung festlegt, dass die von ihm getätigte Aussage wahr sei.[41] Fiktionale Sprechakte und Texte beinhalten für Searle zudem ebenso eine Intention wie faktuale Sprechakte und Texte:


»Even there is no getting away from intentionality, because a meaningful sentence is just a standing possibility of the corresponding (intentional) speech act. To understand it, it is necessary to know that anyone who said it and meant it would be performing that speech act determined by the rules of the languages that give the sentence its meaning in the first place.«[42]

 

Der Text gibt vor, etwas zu tun, da seine Grundlage fiktionaler Natur ist. Searle führt sein Argument in »Reiterating The Differences« nun dahingehend aus, dass er Derrida vorwirft, in seiner Argumentation einer psychologisch motivierten »Illusion«[43] nachzuschauen, die hinter bestimmten Äußerungsakten stehen könnte. Der Vorwurf wird von Derrida aufgegriffen und vehement von der Hand gewiesen, Derrida wiederum bezichtigt Searle aufgrund dessen Interpretation, dass in »Sec« eine psychologisch motivierte Illusion mitschwinge, eines »vorkritischen Psychologismus«[44], was im wissenschaftlichen Diskurs der Linguistik einer Absprechung der fachlichen Kompetenz gleichkommt. Die Debatte beginnt hier langsam aus den Fugen zu geraten und ungleich emotional geführt zu werden, federführend meiner Meinung nach vonseiten Derridas.

Dabei hätte Derrida diese Angriffe nicht nötig, denn er verfügt über schlagkräftige fachliche Argumente gegen die inhaltlichen Schwächen von Searles Annahmen: So lässt sich anhand seiner behaupteten Nicht-Referentialität von Texten fragen, ob die von Searle behauptete Intention von fiktionalen Texten tatsächlich lückenlos lokalisierbar ist, erkenntlich gemacht werden kann? Hierbei wäre ein totales Durchblicken der imaginierten Welt vonnöten, ein in allen Punkten mit den von Searle aufgestellten Regeln übereinstimmendes Verhalten der Sprechenden. Lässt sich dieses erkennen? Die Frage, ob der Produzent der fiktionalen Welt diese selbst in Gänze durchblicken kann, lässt sich hier ebenfalls stellen. Eine Autorintention festzumachen ist zudem ebenfalls ein eher spekulatives Vorgehen, da sich Faktuales und Fiktionales oft vermischen und somit die Kontexte ausgeweitet werden. Denn gibt es tatsächlich eine textliche Referentialität sowie eine (Autor-) Intention? Gerade der Begriff der (Autor-) Intention wird innerhalb der Autorschafts- und Erzähltheorie sehr differenziert dargestellt.[45] Gérard Genette beispielsweise spricht in seiner Erzähltheorie von Fiktion, sobald eine offensichtliche Trennung zwischen Autor und Erzähler vorliegt, der differentielle Schritt, über den Searle und Derrida in ihrer Debatte diskutieren, wird bei Genette äußerst schnell und eindeutig abgehandelt. Allerdings muss man zudem konstatieren, dass Genette in den 1990er-Jahren die Debatten bereits in Gänze verfolgen konnte.[46] Derrida kritisiert an Searles Aussagen eine von ihm konstatierte Uneindeutigkeit, die für ihn den Fehler innerhalb Searles – um es mit Derridas Worten zu nennen – »logozentrischen Ansatzes« birgt:


»(...)[E]ven in what Sarl calls ›real life‹, that ›real life‹ about which Sarl is so certain, so inimitably (almost, not quite) confident of knowing what it is, where it begins and where it ends; as though the meaning of these words (›real life‹) could immediately be a subject of unanimity, without the slightest risk of prarasitism; as though literatur, theater, deceit, infedility, hypocrisy, infelicity, parasitism, and the simulation of real life were not part of real life!«[47]

 

In diesem Zitat wird deutlich, dass Derrida keine Grenzen ziehen kann und will zwischen einer Situation der Äußerung, die von einem Standpunkt heraus entweder als fiktional oder als faktual kategorisiert wird. Ich würde Derridas Aussage dahingehend interpretieren, dass er meint, dass wir unser Verhältnis zur Welt durch die Schriftlichkeit permanent aufbauen und durch sie auch wieder hinterfragen und reflektieren. Dieses komplexe Verhältnis zur Welt hat daher eher einen philosophischen Charakter, befindet sich also innerhalb bestimmter – der Schule des Dekonstruktivismus folgender – Ansätze und stößt bei den kausallogischen analytischen Theorien Searles auf einen Widerpart.

Derrida argumentiert zudem innerhalb der Debatte zur fiktionalen Sprache meiner Meinung nach in dem Punkt plausibel, in dem er Searle eine Art »Furcht« vor dem Schriftlichen nachweist; tatsächlich kann man beobachten, dass Searle darauf beharrt, die fiktionalen Sprechakte ebenso rational zu bewerten, wie er es bei nicht-fiktionalen vollzieht, doch werden dabei der Moment der Kunst- und Sprachfertigkeit fiktionaler Sprache sowie die mentale Fähigkeit zur Produktion fiktionaler Welten von ihm unglücklicherweise außer Acht gelassen. Der kontextuelle Rahmen ist für Searle durch die von ihm aufgestellten Regeln konstituierend für die gesamte Organisation der fiktionalen Sprechakte.[48] Derrida wiederum argumentiert mit einem Paradoxon, dass es zwar einen Kontext gebe, dass dieser jedoch nur aufgrund der Kontextlosigkeit des Einzelnen und durch den Bruch und die Entrücktheit desselben existiere.[49]

Man kann schließlich festhalten, dass sich beide Seiten zu keinen Zugeständnissen innerhalb ihrer Positionen veranlasst sehen.

 

 

Literaturverzeichnis

 

Arirenti, Gabriella/ Bara, Bruno G./ Colombetti, Marco: Failures, exploitations and deceits in communication. In: Journal of Pragmatics. An interdisciplinary Monthly of Language Studies. Hrsg. von Janney, Richard W., Amsterdam: North Holland/ Elsevier, Volume 20, No. 4, October 1993, S. 303-326.

 

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Bonacker, Thorsten: Die politische Theorie der Dekonstruktion. In: Brodocz, André/ Schaal, Gary S.: Die politischen Theorien der Gegenwart II. Eine Einführung. Stuttgart: UTB, 2001, S. 189-220.

 

Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992.

 

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Frank, Manfred: Die Entropie der Sprache. Überlegungen zur Debatte Searle-Derrida. In: Ders.: Das Sagbare und das Unsagbare. Studien zur deutsch-französischen Hermeneutik und Texttheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 491-560.

 

Genette, Gérard: Die Erzählung. Übersetzt von Andreas Knap, mit einem Nachwort von Jochen Vogt, überprüft und berichtigt von Isabel Kranz, Stuttgart: Wilhelm Fink, 2010.

 

Habermas, Jürgen: Exkurs zur Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur. In: Ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985, S. 219-247.

 

Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Springe: Zu Klampen, 2004.

 

Searle, John: The Logical Status of Fictional Discourse. In: Cohen, Ralph (Hrsg.): New Literary History, Nr. 6:2, Baltimore: John Hopkins University Press, 1975, S. 319-332.

 

Ders.: Reiterating The Differences. A Reply to Derrida. In: Weber, Samuel (Hrsg.): Glyph I. John Hopkins textual studies. Baltimore: John Hopkins University Press, 1977, S.198-208.

 

Ders.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983.

 

Werle, Dirk: Die Kontroverse zwischen John Searle und Jacques Derrida. In: Klausnitzer, Ralf/ Spoerhase, Carlos: Kontroversen in der Literaturtheorie/ Literaturtheorie in der Kontroverse. Bern: Peter Lang Verlag, 2007, S. 327-340.



[1] John Searle: The Logical Status of Fictional Discourse. In: Ralph Cohen (Hrsg.): New Literary History, Nr. 6:2, Baltimore: John Hopkins University Press, 1975 S. 319-332. [Fortan: Searle: The Logical Status of Fictional Discourse]

[2] Ich beziehe mich auf folgende Ausgabe: Jacques Derrida: Signature Event Context. In: Ders.: Limited Inc., hrsg. v. Gerald Graff. Evanston: Northwestern University Press, 1988, S. 1-25. Der Essay »Signature Event Context« wurde 1977 bereits in Glyph I veröffentlicht. [Fortan: Derrida: Signature Event Context]

[3]John Searle: Reiterating The Differences. A Reply to Derrida. In: Samuel Weber (Hrsg.): Glyph I. John Hopkins textual studies. Baltimore: John Hopkins University Press, 1977, S.198-208. [Fortan: Searle: Reiterating The Differences]

[4] Ich beziehe mich auf folgende Ausgabe: Jacques Derrida: Limited Inc a b c .... . In: Limited Inc., hrsg. v. Gerald Graff. Evanston: Northwestern University Press, 1988. [Fortan: Derrida: Limited Inc a b c ....]

[5] Ich schränke hier den Begriff aufgrund der linguistischen Thematik dieses Textes ein, bei Derrida ist das Begriffsfeld um einiges komplexer, er spricht so auch von »Ethnozentrismus« und »Phallozentrismus«, vgl. hierzu Thorsten Bonacker: Die politische Theorie der Dekonstruktion. In: André Brodocz/ Gary S. Schaal: Die politischen Theorien der Gegenwart II. Eine Einführung. Stuttgart: UTB, 2001, S. 189-220, hier S. 192f.

[6] Vgl. Jürgen Habermas: Exkurs zur Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur. In: Ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985, S. 219-247, hier S. 223. [Hervorhebung im Original.]. [Fortan: Habermas: Exkurs zur Einebnung des Gattungsunterschiedes zwischen Philosophie und Literatur.]

[7] Ebd. [Hervorhebung im Original.]

[8] Vgl. Jacques Derrida: Grammatologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, S. 12. [Fortan: Derrida: Grammatologie]

[9] Vgl. Derrida: Limited Inc abc ...., S. 79.

[10] John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words). Deutsche Bearbeitung von Eike von Savingy. Stuttgart: Reclam, 2002. [Fortan: Austin: Zur Theorie der Sprechakte]

[11] Vgl. ebd., S. 112-115.

[12] Vgl. ebd., S. 117.

[13] Ebd., S. 116.

[14] Ebd., S. 118.

[15] Vgl. Searle: Sprechakte, S. 40.

[16] Vgl. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 121.

[17] Derrida: Limited Inc abc ...., S. 85.

[18] Vgl. ebd., S. 66f.

[19] Alle Angaben oben.

[20] Derrida: Grammatologie, S. 27.

[21] Vgl. Derrida: Signature Event Context, S. 5.

[22] Expressis verbis »Äußerungsakt«, »propositionaler Akt«, »illokutionärer Akt«, »perlokutionärer Akt«. John Searle: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983, S.40. [Fortan: Searle: Sprechakte]

[23] Ebd., S.83.

[24] Vgl. ebd., S. 30f.

[25] Manfred Frank: Die Entropie der Sprache. Überlegungen zur Debatte Searle-Derrida. In: Ders.: Das Sagbare und das Unsagbare. Studien zur deutsch-französischen Hermeneutik und Texttheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, S. 491-560, hier S. 499. [Fortan: Frank: Die Entropie der Sprache]

[26] Ebd.

[27] Derrida: Signature Event Context. S. 18. [Die Übersetzung ist der deutschsprachigen Ausgabe entnommen.]

[28] Vgl. Derrida: Limited Inc a b c ...., S. 36f.

[29] Vgl. ebd., S. 36, 57.

[30] Vgl. Dirk Werle: Die Kontroverse zwischen John Searle und Jacques Derrida. In: Ralph Klausnitzer/ Carlos Spoerhase: Kontroversen in der Literaturtheorie/ Literaturtheorie in der Kontroverse. Bern: Peter Lang Verlag, 2007, S. 327-340, hier S. 334. [Fortan: Werle: Die Kontroverse zwischen John Searle und Jacques Derrida]

[31] Derrida: Limited Inc a b c ....., S. 37.

[32] Vgl. ebd., S. 59.

[33] Vgl. ebd., S. 57.

[34] Searle: Reiterating The Differences, S. 206.

[35] Derrida: Limited Inc a b c ...., S. 82.

[36] Vgl. Searle: Reiterating The Differences, S. 202.

[37] Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 121f.

[38] Vgl. hierzu Gabriella Arirenti/ Bruno G. Bara/ Marco Colombetti: Failures, exploitations and deceits in communication. In: Journal of Pragmatics. An interdisciplinary Monthly of Language Studies. Hrsg. von Richard W. Janney, Amsterdam: North Holland/ Elsevier, Volume 20, No. 4, October 1993, S. 303-326.

[39] Ebd., S. 318.

[40] Vgl. Searle: The Logical Status of Fictional Discourse, S. 326.

[41] Vgl. ebd., S. 322.

[42] Vgl. ebd., S. 202.

[43] Searle: Reiterating The Differences, S. 202.

[44] Derrida: Limited Inc a b c ...., S. 66. [Das Zitat ist der deutschsprachigen Übersetzung entnommen, S. 109.]

[45] Vgl. hierzu Arbeiten und Sammelbände u.a. von Gérard Genette: Die Erzählung. Übersetzt von Andreas Knap, mit einem Nachwort von Jochen Vogt, überprüft und berichtigt von Isabel Kranz, Stuttgart: Wilhelm Fink, 2010. [Fortan: Genette: Die Erzählung]; Fotis Jannidis/ Gerhard Lauer/ Matias Martinez/ Simone Winko (Hrsg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Max Niemeyer, 1999.; Fotis Jannidis/ Gerhard Lauer/ Matias Martinez/ Sabine Winko (Hrsg. und komm.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 2000.

[46] Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 261.

[47] Derrida: Limited Inc a b c ...., S. 89f.

[48] Vgl. Searle: The Logical Status of Fictional Discourse, S. 322.

[49] Vgl. Derrida: Signature Event Context, S. 9.

 

 

Florian Grundei studiert Germanistik an der Universität Leipzig.

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